Botschafter des Erzgebirges
Ihr arbeitet in sehr unterschiedlichen Bereichen – was Euch vereint, ist Euer immenser Anspruch an Qualität. Wann habt Ihr das erste Mal festgestellt, dass Ihr Euch in dieser Hinsicht von anderen abhebt?
BU – Es gab da keinen Schlüsselmoment. Das ist ja eine Frage des Temperaments und des Charakters, also in Teilen genetisch angelegt, in Teilen anerzogen. Ich habe in sehr guten Restaurants weltweit gelernt. Als ich nach Aue zurückkam, sagte ich zu meinem Vater, der damals unser Haus leitete: „Ich war nicht auf Wanderschaft, um hier Bratkartoffeln zuzubereiten.“
AM – Für mich ist Anspruch etwas, das in mir drin ist. Der entsteht nicht aus einem Vergleich mit anderen, sondern ist etwas, das raus will, das ich in die Tat umsetzen will. Es gibt Dinge, die mich anheben und inspirieren. Und die haben eine Qualität, die ich auch in unseren MÜHLE-Produkten reflektiert sehen möchte.
BU – Vor dem Qualitätsanspruch kommt natürlich erst einmal die Frage, ob man sich von dem, was man tut, auch ernähren kann. Wir haben ja keinen Konzern im Hintergrund, der uns mit der Schubkarre die Goldbarren ins Unternehmen reinfährt. Man braucht also zunächst eine solide Grundlage, um Qualität auszubauen.
AM – Auf jeden Fall. Mein Bruder und ich haben ein Unternehmen übernommen, das bereits gesund aufgestellt war. Nur deshalb hatten wir überhaupt die Freiräume, darüber nachzudenken, in bestimmte Projekte zu investieren. Mein Vater hat nach der Wende zunächst einfach aus Mangel an Alternativen mit der Rasierpinselproduktion weitergemacht. Unsere Absatzmärkte im Ostblock waren zusammengebrochen und die westlichen Unternehmen waren seit Jahrzehnten etabliert. Es war also klar: Nur mit viel Qualität zu guten Preisen haben wir überhaupt eine Chance da mitzuspielen.
Nervt Euch Euer Qualitätsanspruch manchmal selbst? Den habt Ihr ja wahrscheinlich nicht nur in Eurem eigenen Wirkungsfeld, sondern auch in anderen Bereichen.
AM – In meinem Garten, ja. Der ist mein Gegenmodell zu MÜHLE – selten ordentlich und macht, was er will. Da muss ich Geduld üben und habe nur bedingt Einfluss. Ich mag das durchaus auch. Ich habe wohl zwei Pole in mir – den Perfektionisten und den Chaoten. Im Unternehmen nervt der Anspruch nicht, da empfinde ich Befriedigung, wenn wir etwas gut schaffen.
BU – Das ist bei mir ähnlich. In meiner Arbeit möchte ich eine bestimmte Qualität erreichen, privat kann ich mich davon lösen.
Es muss also nicht immer das perfekte Hotel, Restaurant oder Kleidungsstück sein?
BU – Gar nicht! Insbesondere Kleidung. Das ist bei mir schlimm. Jeder, der mich privat kennt, weiß, dass ich zur Geburtstagsfeier gerne in Jogginghose komme. Ich kann die Dinge wirklich egal sein lassen.
Und auch mal eine Bockwurst essen oder einen Döner?
BU – Eine Bockwurst weniger. Und der Döner muss schon gut sein.
Wann habt Ihr Euch das letzte Mal so richtig über miese Qualität geärgert?
BU – Das passiert mir andauernd.
AM – Ich versuche schon, mich mit wertigen Dingen zu umgeben, das macht für mich Lebensqualität aus. Das heißt nicht, dass ich in Luxushotels absteige. Aber sich gutes Essen zu gönnen, ist schon schön. Ich wähle auch sorgfältig aus, was in meinem Zuhause so rumsteht, schließlich schauen wir da jeden Tag drauf.
Lernen Eure Kinder von Euch, was Qualität bedeutet?
AM – Einerseits wünsche ich mir, dass ich sie da präge, andererseits weiß ich gar nicht, ob das so gut für sie ist.
Warum nicht?
AM – Weil ich Einfachheit und Bescheidenheit als hohe Werte empfinde. Und die Kinder wachsen ja in einem sehr satten Umfeld auf und nehmen vieles als selbstverständlich.
Sie könnten durch Euch auch eine gewisse Achtsamkeit und Wertschätzung lernen?
AM – Genau das ist ganz, ganz wichtig.
BU – Bei uns ist das ähnlich. Die Kinder wachsen wohlbehütet auf …
AM – … wenngleich Euer Großer schon früh mit ran muss. Das finde ich bewundernswert.
BU – Ja, der wird ganz normal mit Steuernummer angemeldet, muss seinen Stundenzettel führen und kriegt sein Geld überwiesen. Er soll wissen, dass das alles nicht vom Himmel gefallen kommt. So kann er auch ohne Zwang ins Unternehmen reinwachsen.
Ihr arbeitet beide mit Euren Brüdern zusammen. Hat sich die Arbeit im Familienunternehmen einfach so ergeben oder empfindet Ihr diese als die beste Unternehmensform?
BU – Alles hat seine Vor- und Nachteile. Eine Familie ist die kleinste Unternehmensform und du kannst nicht einfach kündigen. Man braucht eine klare Struktur. Mit meinem Bruder würde ich das jederzeit wieder machen, wir haben eine gute Symbiose, ohne die wir nicht wären, wo wir sind.
AM – Grundsätzlich wäre ich lieber angestellter Kreativdirektor im Home Office. (Beide lachen) Nein, du hast natürlich einen großen Gestaltungsspielraum in einem Familienunternehmen, weil du alles verantwortest – von der ersten Idee eines Produktes über die Verpackung bis hin zum Marketing, ebenso die Werte, die das Unternehmen verkörpert. Die Arbeit mit meinem Bruder Christian ist für mich ein großes Glück, weil er ein enorm entspannender und großzügiger Zeitgenosse ist.
Benjamin, Du bist mit Deiner Küche Botschafter des Erzgebirges. Was daran ist typisch erzgebirgisch?
BU – Die erzgebirgische Küche ist eine Arme-Leute-Küche. Die Region ist vom Bergbau geprägt. Ein klassisches Gericht ist das Neunerlei. Das gibt es zum Heiligabend, am ersten und am sechsten Januar, dem Dreikönigstag. Es hat neun Zutaten, alle mit einer Symbolik. Die Buttermilch für die reine weiße Haut, Sauerkraut fürs Stroh, der Fratzen – Kartoffelpuffer – fürs große Geld … Für das Feinschmeckerrestaurant nehmen wir Komponenten aus dieser traditionellen Küche und interpretieren sie komplett neu, mit neuen Techniken.
So gibt es bei Euch auch Bauernfrühstück, wie sieht das aus?
BU – Das ist ein Signature Dish von uns, bestehend aus 20 Komponenten: Kartoffel, Ei, Zwiebel, Gewürzgurke, Kräuter, usw. Und da machen wir dann was draus.
AM – Das klingt immer alles so einfach und hemdsärmelig. Benjamin kommt aus der Küche und sagt: ‚Da haben wir dieses Kraut, da habe ich die Essenz rausgezogen, oder er versucht, Dinge zu fermentieren und gekonnt zu kombinieren‘ – und ich denke: Wow, diese Inspiration, was da im Mund passiert. Es schmeckt ja nicht einfach nur gut, sondern man schmeckt die Absicht dahinter. Das ist phänomenal.
Hat Dir der Stern einen weiteren Motivationsschub gegeben?
BU – Den Schub hatten wir schon vorher. Wir haben in den vergangenen eineinhalb Jahren nochmal eine ganz eigene Stilistik entwickelt.
AM – Ihr seid noch kreativer und raffinierter geworden.
Die Region hier ist dafür bekannt, dass aufgrund des rauen Klimas nicht viel wächst. Erfordert es viel Kreativität, mit regionalen Zutaten auf hohem Niveau zu kochen?
AM – Es ist ein sehr karger Landstrich. Die Leute haben hier immer versucht, das Wenige, das wächst, lange haltbar zu machen und auch aus dem Wald zu leben. Beeren spielen eine große Rolle, genauso wie Pilze.
BU – Wir haben jetzt ein Gericht auf der Karte, für das wir Birkenblätter fermentiert haben, außerdem ein Sorbet aus Fliederblüten – die muss man sehr speziell verarbeiten, damit sie überhaupt essbar sind. Ich muss hier im Erzgebirge nicht den geangelten Loup de Mer oder den Hummer auf die Karte setzen, es kann auch der Steinbeisser aus heimischem Gewässer sein. Vom Prinzip her machen wir jetzt wieder das, was die Leute hier früher gemacht haben – Sammeln, Einkochen, Fermentieren.
Jedes Mal, wenn wir aus der Stadt zu Euch reisen, genießen wir die Weite und den vielen Raum. Inwiefern beeinflussen diese Faktoren Eure Kreativität?
AM – Du kannst hier relativ viel machen, sogar Schafe oder Pferde halten – das ginge in der Stadt nicht. Der viele Platz schafft einen Ausgleich. Als ich ins Unternehmen eingestiegen bin, war ich ständig unterwegs und übernachtete sehr häufig in Hotels. Aber irgendwann bemerkte ich, dass mir die Erdung fehlt. Barfuß laufen, im Garten sein, im Fluss baden – das tut mir unheimlich gut.
BU – In der Stadt bist du getrieben, musst alles mitmachen, hip sein. Hier halten die Menschen an Traditionen fest, das kann ein Ruhepol sein. Für mich ist die Stadt kein Ort, der mir Energie zurückgibt.
AM – Das empfinde ich anders. So sehr ich die Erdung hier brauche, brauche ich auch die Energie der Städte.
Das Erzgebirge ist Eure Heimat – Ihr seid hier geboren und aufgewachsen. Welche Bedeutung hat Heimat für Euch?
BU – Für mich ist Heimat vor allem ein Gefühl.
AM – Und das macht etwas mit einem. Es gibt hier so viele Orte, mit denen es eine Verbindung gibt, weil sie an Erinnerungen und Geschichten geknüpft sind, auch an die früheren Generationen.
Ihr seid beide auch als Botschafter des Erzgebirges tätig. Welche Aufgaben sind damit verbunden?
BU – Aue hat einen Fußballverein, den kennt man. Was die Außenwirkung angeht, kommt danach jedoch schon unser Haus. Wir sind in sämtlichen Restaurant-Guides vertreten, jede Menge Artikel sind über uns erschienen. Insofern haben wir die Aufgabenstellung schon erfüllt, bevor wir den Titel erhielten – nämlich das Erzgebirge auch überregional bekannt zu machen. Für mich steckt in diesem Titel vor allem eine große Wertschätzung, die mich mit Stolz erfüllt.
Dieses Heft ist auch in der gedruckten Ausgabe von 30 Grad erschienen – im Herbst 2024.