Königliche Düfte
Am besten erreicht man Julian Moore, indem man einfach bei ihm vorbeischaut. In der St. James Street No. 29, in der D.R. Harris-Hauptfiliale, wo das Unternehmen, das Moore leitet, seit unglaublichen 234 Jahren beheimatet ist. Hier trifft man in der Regel auf den jungen Mann im Anzug, mit dem roten Haar und dem freundlichen Blick.
Fußläufig vom Buckingham Palace und für seine traditionsreichen Geschäfte und Gentlemen’s Clubs bekannt, gilt die Gegend südlich von Mayfair und Piccadilly als ruhiger Gegenpol zum dauerhaft pulsierenden, lauten Londoner Stadtzentrum. Schon Julians Mutter Alison Moore mochte die „dörfliche Atmosphäre in St. James, die sich so gar nicht nach Großstadt anfühlt“, wie sie mal sagte. Wo man sich kennt, nichts so sehr schätzt wie das persönliche Gespräch mit Kundschaft, Geschäftspartnern oder Nachbarn, und Handel noch immer am liebsten per Handschlag betreibt.
Alison, eine ausgebildete Apothekerin, deren Herz für die Entwicklung neuer Essenzen schlug, leitete D.R. Harris über zwei Jahrzehnte lang. Sohn Julian holte sie einst als Aushilfe ins Unternehmen. Mittlerweile ist sie in Rente und der studierte Anglist verantwortet die Geschäftsführung und das Marketing der Traditionsfirma.
Ihre Kölnisch Wasser, Eau de Toilettes, Haarpflegeprodukte, Seifen und Hautcremes transportiert das Unternehmen heute in 24 Länder weltweit. Trotz fester Fangemeinde, zu der auch das britische Königshaus gehört, gilt die Marke mit ihren zwei Londoner Filialen und einem Team von gerade mal 18 festen Mitarbeitenden noch immer als Geheimtipp.
„Wir könnten viel bekannter sein“, sagt Julian Moore. „In Großbritannien sowieso, aber auch weltweit. Doch radikal zu expandieren und intensives Marketing zu betreiben, das war irgendwie nie unser Ding“. Sie kennen den Großteil ihrer Kundschaft persönlich, viele kommen seit Jahrzehnten oder stammen gar aus Familien, die über Generationen bei ihnen kaufen. „Das finden wir auch ganz gut so.“
Es war die Zeit vor der weit verbreiteten Nutzung von elektrischem Strom, als die Fotografie noch nicht erfunden war, George Washington in den USA regierte und King George III. auf dem britischen Thron saß, als D.R. Harris als Geschäft für Heilmittel und Parfüms für die wohlhabende Oberschicht der Stadt erstmals seine Türen öffnete.
Gegründet als Parfümerie und Apotheke von den zwei Cousins Henry Harris und Daniel Rotely Harris, machte sich das Geschäft schnell mit seinen aus heimischen Blumen hergestellten „Toilet Waters“ einen Namen. Auch Oscar Wilde galt als treuer Kunde, der sich die Kölnisch Wasser großzügig hinter seinen Ohren aufgetragen haben soll.
Noch heute ist die Hauptfiliale von D.R. Harris Parfümerie und Apotheke in einem, noch heute kommen Mitglieder der umliegenden Gentlemen’s Clubs mit ihren Rezepten hierher, um in dem Zuge gleich ein paar Pflegeprodukte mitzunehmen.
Das Interieur stammt in großen Teilen aus Gründungszeiten, hölzerne Schubladen mit lateinischen Inschriften und viktorianische Apothekerflaschen erinnern daran. Im 18. Jahrhundert nannte man Apotheker noch Barbier-Chirurgen – Barber-Surgeons. Aderlass, Zahnextraktionen und kleine chirurgische Eingriffe gehörten zu ihrem täglichen Service-Repertoire. „Wir sind ganz froh, dass dieses Kapitel der Firmengeschichte abgeschlossen ist“, sagt Julian Moore und lacht.
Doch andere Services wurden kontinuierlich über die Jahrhunderte weiterentwickelt: „Arlington Cologne“, „Windsor“, „Lavender Water“, „Sandalwood“ oder „No. 14 Vetiver with Lemon“ sind die Namen der Kölnisch Wasser, die hier heute in den Regalen stehen und wie vor 200 Jahren die Verkaufsschlager der Marke sind. Einige von ihnen sind moderne Interpretationen ursprünglicher Düfte, sehr markant und ungemein ergiebig. Das „Lavender Water“ wird wie einst aus den abgestreiften Blüten bestimmter Lavendelarten aus der Grafschaft Hertford hergestellt.
Auch die „Crystal Hair Cream“ stammt aus dem Anfangssortiment. Das Haarfixativ auf Wasserbasis soll schon genau so von Friseuren vor 100 Jahren benutzt worden sein. Oder die Rasierseife, die in einer Holzschale aus Mahagoni geliefert wird – auch sie ist traditionsreich: Durch ihre Dreifachmahlung gilt die Seife als besonders fest, gut schäumend und langlebig.
Doch so manches Produkt verschwindet auch: Die kristallklaren Augentropfen beispielsweise, die Augen strahlend weiß erscheinen ließen und bei Supermodels wie Naomi Campbell besonders beliebt gewesen sein sollen. Oder sie müssen erst gehen, um dann wiederzukommen: Der „Pick Me Up“-Cocktail-Bitter ist ein schnell wirkendes Heilmittel gegen den Kater nach einer wilden Nacht, das auch als Aperitif getrunken werden kann. Als dies aus dem Sortiment genommen wurde, insistierten einige Kunden sehr intensiv und das über Jahre, bis D.R. Harris dem Wunsch kürzlich nachkam und es wieder in die Produktion aufnahm.
„Bei uns ist es gar nicht so unüblich, dass wir unser Sortiment nach ein paar wenigen Anfragen ausrichten“, sagt Julian Moore. Eine Flexibilität, für die sie bekannt seien. Sie haben nie stark expandiert, so musste die Produktion nie hochskaliert werden, auch kleine Produktionsmengen würden sich rechnen – das ermöglicht es ihnen, ihre Produktauswahl schnell anzupassen. Da sie bei jedem ihrer rund 400 Produkte mindestens einen Kunden vor Augen haben, der dieses regelmäßig kauft, sei es „manchmal wirklich schwer, sich von Produkten zu verabschieden“, sagt Julian Moore. „Wir wissen dann genau: Der oder die werden es bitterlich vermissen“. Es ist genau diese persönliche Ebene, die den Charme der Firma für ihn ausmacht.
Zu dieser persönlichen Ebene gehört auch ihre Diskretion: Über die Präferenzen berühmter Kundinnen und Kunden oder die Hintergründe der Eignerfamilie wird selbstverständlich nicht gesprochen. Was man verrät: „Das Unternehmen gehört noch immer zu 100 Prozent der Harris Familie, wir sprechen viel.“ Geht es um die Auszeichnung als Königlicher Hoflieferant, die D.R. Harris seit 1938 innehat und die nun mit der Krönung von König Charles und Königin Camilla neu vergeben wurde, sagt Julian Moore lediglich: „Wir erhalten das Wappen erneut. Königin Camilla hat es bislang lediglich an sieben Unternehmen vergeben, darunter wir. Das ist schon toll.“ Understatement kann eben auch Firmenstrategie sein.