Lenz Koppelstätter gesteht seine Liebe zur schmierigen Haarpracht – und schreibt sie seiner italienischen Herkunft zu.

Greasy Italy

Dass mein ehelicher Frieden einmal ernsthaft gefährdet war, hat mit meiner Gel-Sammlung zu tun. Meine Frau entdeckte sie in einer meiner Badschubladen. Sie war da schon argwöhnisch angesichts der Zeit, die ich mich im Bad einsperrte. Meine Frau sagte, wenn ich die Tuben und Tiegel nicht innerhalb von 48 Stunden entsorgen würde, wär’s das gewesen. Ja, ich sammle Gel. Na und? Hey! Ich bin im Land des Gels aufgewachsen. In greasy Italy. Wenn italienische Fußballer zum Siegestor einköpfen, dann überlebt die zuvor mit kiloweise Gel versehene Frisur problemlos den anschließenden Jubel. Noch viel mehr. Sie wirkt gar nicht wie zugekleistert. Vielmehr wie in feinstes Olivenöl extra vergine getränkt. Wenn italienische Männer nicht gerade über gutes Essen, schnelle Autos oder Fußball reden, dann reden sie übers Gel. Wer welches benutzt, wer welche Auftragetechnik verwendet.

Ich habe Haare auf dem Kopf. Aber zu sagen, es wären meine Haare, wäre gelogen. Wären es meine, würden sie machen, was ich will. Machen sie aber nicht. Wirbelgesteuert stehen sie ab. Nur mit Gel unter Kontrolle zu bringen. Ich lernte in Deutschland meine Frau kennen, verzweifelte aber geltechnisch. Denn: Mehr als acht von zehn von der Stärke her war nördlich der Alpen nicht zu bekommen. Super strong schien es hier nur im Darknet zu geben. In Italien trägt jeder extra super strong. Wer keins trägt, ist Informatik-Student oder hat eine Glatze.

Ich probierte also verschiedenste Sorten aus, keine passte mir. Ich lief von Drogerie zu Drogerie, mehrmals erwischte meine Frau mich bei Douglas und vermutete fast, ich hätte was mit der dortigen Verkäuferin. Und weil ich meine jeweils nur einmal benutzten Tuben nicht wegwerfen wollte – die Umwelt! – entstand eben die Sammlung. Sie wuchs mir ans Herz. Ich kann nicht mehr ohne sie. Und man kann ja nie wissen. Andere horten Klopapier in solch unsicheren Zeiten, ich horte Gel. Ich zog nach Italien zurück, wir bekamen einen Sohn („Papa, warum klebt Kaugummi in deinen Haaren?!“). Dann kam der Tag, als meine Frau alles entdeckte. 48 Stunden. Ich spürte schon den Cold-Gel-Turkey. Ich musste mir dringend etwas einfallen lassen …

Lenz Koppelstätter ist Bestsellerautor und schreibt Reportagen für FAZ, GEO und SALON. Er versteckt sein Gel neuerdings in Handcremedosen und Zahnpastatuben. Bislang erfolgreich.

Dieser Beitrag ist zuerst im Herbst 2022 in der gedruckten Ausgabe von 30 Grad erschienen.