Von der Erde zum Kunstwerk
Im Bergwerk: Die weiße Erde wird abgebaut
Ein lauer Wind streicht über die Felder, der Himmel wölbt sich hoch und blau. Wir sind es gewohnt, den Blick nach oben zu richten, was unter unseren Füßen liegt, interessiert die meisten eher weniger. Bei Andreas Kawka ist das anders. Einen großen Teil seines Lebens hat der 57-Jährige unter der Erde verbracht – „unter Tage“, wie es unter Bergleuten heißt. Er hat Braunkohlenflöze entwässert und Kali abgebaut, in der Grube Sigmundhall in 1.400 Metern Tiefe, so weit im Erdinneren, dass es dort ganzjährig 28 Grad warm ist und der Weg nach oben sich für die Mittagspause nicht lohnt.
Aktuell leitet der studierte Bergbauingenieur Deutschlands kleinstes Bergwerk in Seilitz, zehn Kilometer außerhalb von Meissen. Eröffnet wurde es 2023, am 04. Dezember, dem Tag der Heiligen Barbara, Schutzpatronin der Bergleute, im Beisein von Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig. Hier wird Kaolin abgebaut – Porzellanerde – ein feines weißes Gestein, dessen Hauptbestandteil verwitterter Feldspat ist.
Das Bergwerk, ein schlichtes weißes Gebäude mit rotem Ziegeldach, sieht aus wie ein Einfamilienhaus. Wären da nicht die gekreuzten blauen Schwerter an der Seitenwand, Markenzeichen der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meissen. Das Bergwerk gehört der Manufaktur und garantiert, dass der hochwertige Rohstoff, aus dem das berühmte Porzellan gefertigt wird, nicht ausgeht. Das hier im Boden liegende Kaolin ist besonders rein, so dass sich das Endprodukt durch ein strahlendes Weiß auszeichnet.
Bis 1810 bezog Meissen sein Kaolin hauptsächlich aus Aue, doch bereits seit 1764 baute die Manufaktur auch hier in Seilitz den Rohstoff ab. Nun war das Vorkommen im alten Schacht, 150 Meter entfernt, zur Neige gegangen. Das neue Bergwerk soll den Bedarf an Kaolin für mindestens 50 weitere Jahre sichern, 150 Tonnen im Jahr werden abgebaut.
In Zeiten von globalen Krisen und Lieferengpässen ist es ein unschätzbarer Vorteil, die verarbeiteten Rohstoffe selbst abzubauen: Der Transportweg ist kurz, die Qualität des Materials ist gesichert und Arbeitsbedingungen der Mitarbeitenden sind leicht zu kontrollieren. Ein Wettbewerbsvorteil ist es außerdem: keine andere Porzellanmanufaktur hat ein eigenes Bergwerk.
Alles ist schlicht und zweckmäßig eingerichtet, nur die fein gearbeitete Wandkonsole aus Porzellan, auf der stolz ein bärtiger Bergmann in schwarzer Jacke mit Goldknöpfen thront, weist darauf hin, dass dies hier ein besonderes Bergwerk ist.
In den Schacht geht es zehn Meter über die Leiter nach unten, nur die Hunte, die Rollwagen, in denen das Material transportiert wird, dürfen den Aufzug nehmen. Zwei Bergleute arbeiten hier, bis vor kurzem war Kawka einer von ihnen, jetzt überwacht er die Arbeiten nur noch. Mit dem elektrischen Schlaghammer klopfen sie die Erde aus der Wand und stützen den Schacht alle paar Meter mit Abbaustempeln aus Holz ab, damit er nicht einstürzt. „Alles muss sehr sauber gehalten werden, um das Porzellan nicht zu verunreinigen“, sagt Kawka. Die Hunte sind aus Edelstahl, so dass nichts rostet.
So nah an der Oberfläche kann es im Sommer feucht werden im Schacht. „Manchmal haben wir im Hochsommer Nebel da unten“, sagt Kawka. Dunkel wie sonst unter Tage ist es allerdings nicht. Die weißen Wände reflektieren das Licht. Die Arbeit eines Bergmanns hat sich seit Gründung der Manufaktur im Jahr 1710 wenig verändert. „Es ist eine harte körperliche Arbeit. Man braucht Kraft und Enthusiasmus, um das durchzuhalten.“
Im Massekeller: Weiterverarbeitung des Kaolins
Vom Bergwerk wird die weiße Erde in die Manufaktur nach Meissen gebracht und im Keller gelagert. Hier ist es selbst an einem heißen Sommertag kühl und feucht. Die dicken Steinwände, der Boden – und nach kurzer Zeit die Schuhe der Besucher – sind weiß überpudert.
Bis zur fertigen Porzellanmasse sind noch viele Arbeitsschritte nötig. Das Kaolin wird in einer Trommel gesiebt und mit Wasser verrührt, die milchige Emulsion in Steinbecken gepumpt, wo sich Verunreinigungen absetzen. Später wird das Wasser abgepumpt, die Masse gepresst. Zum Schluss werden nach genau ausgetüftelter Rezeptur Feldspat und Quarz beigemischt.
Die eingemeißelte Jahreszahl gibt an, wann das massive Steinbecken, in dem die milchartige Kaolinemulsion lagert, hier aufgestellt wurde: 1867. Hier unten scheint die Zeit stehen geblieben: Seit die Manufaktur, gut 50 Jahre nach ihrer Gründung, diese Räume bezog, hat sich an Interieur und Abläufen kaum etwas verändert.
Es war 1710 als die „Königlich-Polnische und kurfürstlich-sächsische Porzellanmanufaktur“ ihre Arbeit aufnahm. Lange genug hatte es gedauert: Seit der venezianische Abenteurer Marco Polo im 14. Jahrhundert die ersten Porzellanschälchen aus China mitgebracht hatte, waren die europäischen Herrscher fasziniert von diesem besonderen Material. So fein und durchscheinend, dabei so fest und stabil. Dagegen wirkte europäische Keramik plump und primitiv. Dennoch brauchte es über 400 Jahre, bis man herausfand, wie es hergestellt wird. Für August den Starken, seit 1694 Kurfürst von Sachsen, war die Faszination in Besessenheit umgeschlagen. Er litt, so gestand er in einem Brief, an der „maladie de porcelaine“, der Porzellankrankheit.
Zu Beginn seiner Regentschaft gab es am Dresdener Hof gut 1.000 Stücke Porzellan, als er starb, besaß August 35.798 Objekte – die größte Porzellansammlung der westlichen Welt. Auch in anderen Lebensbereichen liebte der absolutistische Herrscher den Prunk – und der wollte finanziert sein. Als ihn daher im Winter 1701 Gerüchte erreichten, dass es dem jungen Apotheker und Alchimisten Johann Friedrich Böttger gelungen sei, Gold herzustellen, ließ August der Starke diesen nach Dresden bringen. Böttger wurde in ein Labor gesperrt, zunächst in Dresden, später in der Meissener Albrechtsburg. Gold zu machen, gelang ihm zwar nicht, stattdessen aber fand er bei einem seiner endlosen Versuche 1708 heraus, wie man Porzellan herstellt. Ihm gelang die genau richtige Mischung aus Kaolin, Feldspat und Quarz, die beim Brennen ihre Konsistenz so verändert, dass das Endprodukt durchscheinend wird wie milchiges Glas.
Im Atelier: Die fertigen Stücke werden bemalt
Steht am Anfang der Porzellanherstellung die schwere Maloche, braucht es am Ende kunsthandwerkliche Präzisionsarbeit: Ramona Kliemt sitzt an ihrem Arbeitstisch in der Malereiwerkstatt, die sie mit zwei Kolleginnen teilt. In der rechten Hand mit den kurz geschnittenen Nägeln hält sie einen feinen Pinsel. Zur Stabilisierung hat sie den Ellenbogen erhöht abgelegt. Auf einer Kachel wird die Farbe mit Terpentin angerührt, manchmal auch mit Nelken-, Anis- oder Lavendelöl.
Mit feinen Strichen trägt Kliemt die Farbe auf das Werkstück auf, das auf einem Holzstab fixiert ist. Heute ist es der Griff eines Rasierpinsels, auf den die 38-Jährige, die sonst auf Blumenmalerei spezialisiert ist, KoiKarpfen in Rot und Gold aufmalt.
Die limitierte Edition mit dem Koi-Motiv ist bereits die zweite Kooperation zwischen MÜHLE und Meissen. Bereits im Jahr 2018 vereinten die beiden sächsischen Manufakturen Können und Expertise, um ein Rasierset zu kreieren, bemalt mit dem traditionellen Ming-Drachen, ein traditionelles Motiv und Hommage an die chinesische Herkunft des Porzellans. Immer wieder wandert der Blick der Malerin durch ihre große bunte Brille zwischen den Motivvorlagen, die sie vor sich aufgestellt hat, und dem Griffteil hin und her. Es ist faszinierend, die Präzision ihrer Bewegungen zu beobachten, die großes Geschick verraten und jahrelange Übung. Die Ruhe und Konzentration scheinen sich auf den Betrachtenden zu übertragen. Nur gelegentlich hält Kliemt inne und lässt den Blick aus dem Fenster über Wiesen und Bäume schweifen. „Dann erholen sich die Augen“, sagt sie. Im Raum herrscht absolute Stille, das einzige, das zu hören ist, ist das Surren eines Ventilators.
Es ist ein langer Weg von der weißen Erde bis hin zum fertigen Stück Meissener Porzellan, das dann über die Verkaufstresen weltweit zu erwerben ist: „Porzellan“, so heißt es, „verzeiht keine Fehler“. Am Ende, nach dem letzten Brand, wird alles sichtbar – ein reparierter Henkel ebenso wie ein Fleck, den ein Staubkörnchen hinterlassen kann, das zu viel der feuchten Farbe aufgesaugt hat. Und so ist jedes Stück fehlerfreies Porzellan wirklich ein einzigartiges Kunsthandwerk.
Dieser Artikel stammt aus dem gedruckten 30 Grad Magazin vom Herbst 2024. Das jährlich erscheinende Heft können Sie hier kostenfrei abonnieren.