Innovation im Ambiente des 19. Jahrhunderts: Mit ihrer Kosmetikmarke Officine Universelle Buly kombinieren Victoire de Taillac und Ramdane Touhami antikes Dekor mit moderner Wissenschaft. Und treffen damit weltweit einen Nerv.

Antik modern

Römische Gipsbüsten stehen neben alten Messingkannen und einem antiken Thermometer. Ein Schild verkündet: „Wir servieren heißen sowie geeisten Kaffee“. Das Schaufenster der Officine Universelle Buly in der Rue Saintonge in Paris, einem eher von Pariserinnen und Parisern frequentierten Teil des Touristenhotspots Le Marais, macht neugierig. Ebenso der Blick ins Innere – reich verziertes Nussbaum-Mobiliar, eine Marmor-Theke und Verkäufer, die in ihren Uniformen aus weißer Bluse und dunkelblauen Faltenrock etwas der Zeit entrückt wirken.

An einem warmen Spätsommermorgen sind wir hier mit Victoire de Taillac verabredet, später wird ihr Ehemann Ramdane Touhami dazustoßen. Die beiden sind die Gründer dieses Universums. Der seltsame Laden ist kein Museum für antiken Ladenbau, sondern eine von insgesamt 25 Universal-Apotheken Buly. Ein Geschäft für Naturkosmetik, Parfums und besonderen Drogeriebedarf. Auch Mühle Produkte findet man hier.

Mit einem Sortiment aus Pomaden, Pasten, Cremes, Kerzen und Parfums und dem außergewöhnlichen Interieur trifft das Ehepaar Touhami und de Taillac einen Nerv. Mittlerweile gibt es vier Buly-Geschäfte in Paris, 21 weitere weltweit. Vor allem in Tokio, wo das Ehepaar lange lebte, aber auch in Mailand, London oder Seoul sind sie zu finden. Buly ist zur Marke mit globaler Strahlkraft avanciert, und auch das Ehepaar selbst genießt eine gewisse Popularität – die beiden beherrschen das Geschäft der sozialen Medien.

Co-Gründerin des Buly-Kosmetikimperiums: Victoire de Taillac in der Filiale im Pariser Marais
Trockenblumen, antikes Mobiliar und allerlei Kuriositäten sorgen für eine spezielle Atmosphäre

Insgesamt 800 Produkte umfasst das Buly-Sortiment. Zu finden sind die Produkte in der Rue de Saintogne überall dort, wo Platz ist. Dazwischen tummeln sich exotische Gegenstände, deren Nutzung auf den ersten Blick unklar bleibt. Victoire de Taillac und Ramdane Touhami sind bekannt für die Entwicklung von Einzelhandelskonzepten, die aus dem Rahmen fallen. So ist Touhami für das Revival der ältesten Wachsmanufaktur der Welt, Cire Trudon, verantwortlich. Davor schufen die beiden die Parfumerie Générale, die Anfang der 2000er-Jahre mit einem Sortiment von Nischen-Parfums den Handel für Düfte in Paris auf den Kopf stellte.

Obwohl die „Generalparfümerie“ bereits nach drei Jahren schließen musste, wird die Idee eines kuratierten Sortiments bis heute kopiert. „Wir waren damals Vorreiter. Noch heute sprechen uns Menschen auf die Boutique an. Hätte es die Parfumerie Générale nicht gegeben, gäbe es heute nicht Buly. Unsere damalige Idee, Produkte im Detail zu erklären, war der Grundstein für Buly“, sagt de Taillac.

Das Ambiente und die Ästhetik der Geschäfte sind mit Bedacht gewählt, aber auch etwas dem Zufall geschuldet. Ein Freund brachte dem Ehepaar von einer Auktion einen Katalog von Schönheitsprodukten aus dem 19. Jahrhundert mit. „Die hübschen Flakons aus Porzellan und die detaillierten Warenbezeichnungen gefielen uns, die Epoche auch. Im 19. Jahrhundert wurde der Mythos der eleganten Französin geschaffen. Die ganze Welt kam nach Paris, um Mode und Parfums zu kaufen“, sagt de Taillac.

Stilvolles Kaffeetrinken am Marmortresen von Buly – alles wirkt etwas aus der Zeit gefallen
Altmodische Flakons mit äußerst zeitgenössischen Inhalten: das Gesichtstonikum mit Rosenextrakten soll die Haut strahlen lassen
Kreativer Kopf der Marke: Ramdane de Touhami ist Experte im Entwickeln innovativer Markenkonzepte und Interieurs


Die studierte Kunsthistorikerin begann zu forschen, besuchte Bibliotheken und arbeitete sich in die Beauty-Branche der Zeit Napoleon des Dritten ein. Ramdane Touhami recherchierte, wie damals die Geschäfte aussahen, wie die Produkte präsentiert und die Kunden empfangen wurden.

Das Konzept nahm Form an, nur der Name fehlte. Bis die Unternehmer auf den Roman „César Birotteau“ von Honoré de Balzac stießen. Das Werk handelt von einem erfolgreichen Parfümeur, der an seiner eigenen Dekadenz und Verschwendungssucht zugrunde geht. Historisches Vorbild für die Romanfigur war der am linken Seineufer lebende Destillateur und Parfümeur Jean-Vincent Bully, der zwar mit seinem „Vinaigre de Toilette“, einem Reinigungsessig für kosmetische Anwendungen, einen echten Bestseller landete, aber dennoch 1830 bankrott ging.

Der „Vinaigre“ (Essig) hat es bei der Wiedererweckung der Marke im Jahr 2014 durch De Taillac und Touhami zwar nicht ins Sortiment geschafft. Dennoch traf das Unternehmerpaar mit dem Revival der alten Beauty-Marke voll ins Schwarze. Die Presse berichtete, die Kundinnen liebten das Konzept, darunter einige betagte Damen, deren Großmütter auf den Vinaigre geschworen hatten. „Noch heute werden uns alte Flakons zugeschickt. Das ist natürlich amüsant. Doch die Menschen kommen nicht allein wegen einer schönen Historie. Es braucht eine Vision.“

Typisch Buly: Die Einbauten aus geschnitztem Nussholz erinnern an eine alte Apotheke. Aber über Kopf?
Natürlich mit eigenem Emblem: Auch die Bodenfliesen sind maßgeschneidert

De Taillac und Touhami, Eltern dreier Kinder, hatten lange vor dem Kauf der alten Marke ihre eigene, persönliche Strategie für ihre neue Firma entwickelt. „Die Geschichte von Jean-Vincent Bully bildet für uns den Rahmen. Das, was die Marke mit Leben erfüllt, ist nach unserem Geschmack gewählt und recht modern“, erklärt die 46-jährige Victoire De Taillac. Ihr Mann ergänzt: „Mit einem Bein sind wir in der Vergangenheit, mit dem anderen in der Zukunft.“ Damit bezieht sich der 47-Jährige vor allem auf die Produkte. Es sei ihnen nie darum gegangen, alte Beauty-Rezepte wieder aufzulegen, sondern qualitativ hochwertige Produkte nach dem neuesten Stand der Wissenschaft anzubieten, so Touhami.

Dass Victoire de Taillac vorher jahrelang beim legendären Pariser Concept Store Colette für das Beauty Segment zuständig war, half. So wie die Erfahrungen aus der Parfumerie Générale und dem Revival von Cire Trudon. Heute arbeitet das Unternehmer-Duo mit dem Cosmetic Valley zusammen, einem wissenschaftlichen Zentrum für Innovationen, Beauty und Wellbeing in der Nähe von Chartres. Als Ramdane Touhami unbedingt Parfums auf der Basis von Wasser statt Alkohol anbieten wollte, wurde dort die Lösung gefunden: „Dank Mikroverkapselung hält der Duft lange und irritiert nicht die Oberschicht der Haut“, sagt Touhami.

Die Parfums, die zu 98 Prozent aus natürlichen Zutaten bestehen, sind ein Bestseller und machen heute mehr als ein Drittel der Umsätze aus. Bei allen Produkten werden die Formeln einfach gehalten und auf fünf bis zehn Inhaltsstoffe limitiert. „Bei manchen, wie zum Beispiel dem Arganöl, wollen wir keine Mischungen, da bieten wir das reine Öl an“, sagt de Taillac.

Die studierte Kunsthistorikerin de Taillac arbeitete sich in die Beauty-Branche der Zeit Napoleons des Dritten ein
In der Pariser Filiale im Marais gibt es auch einen Spa-Bereich für Massagen und Kosmetikbehandlungen

Diesen großen Anspruch an moderne Kosmetik kombinieren die beiden mit Kuriositäten wie parfümierten Postkarten oder einem Aker Fassi, einem Tonbehälter mit Mohnblumen-Puder, den die Berber zur Pflege und Bemalung der Lippen nutzen. In diesen überlieferten Beauty-Routinen liegt für sie eine Schönheit.

Buly ist die Symbiose der künstlerischen Kreativität Ramdane Touhamis und des fundierten Beautywissens von Victoire de Taillac, beeinflusst von den Erfahrungen eines gemeinsamen Lebens zwischen Paris, New York und Tokio, umgesetzt mit einer großen Freude an der Inszenierung. Die beiden leben ihre Vision – und posieren dafür mal im Stil des 19. Jahrhunderts oder – etwas surreal – mit Ramdanes Kopf unter einer Parfum-Glasglocke, gehalten von seiner Frau.

Im Jahr 2021 wurde die Firma an LVMH verkauft. Trotz einer Minderheitsbeteiligung kam die Übernahme durch den Luxuskonzern für manche überraschend. Victoire de Taillac: „Wir lieben unsere Arbeit, aber mit dem Erfolg und heute 200 Mitarbeitenden war vor allem Ramdane nur noch mit der Geschäftsführung und Finanzen beschäftigt. Das frustrierte ihn. Er langweilt sich schnell. Seit dem Verkauf kann er sich neuen Projekten widmen und ist wieder glücklich.“ Seine Frau kümmert sich weiter um die Produktinformation. Wie zum Beispiel über die Bürsten, auf die sie jetzt zeigt – gefertigt aus Birkenholz und Wildschweinborsten. „Wir hatten diese bei einem koreanischen Friseur entdeckt, der sie in Japan fertigen ließ. Und lernten: Die besten Borsten stammen aus dem Bereich der Wirbelsäule der Wildsäue.“ Es sind Teile, die man niemals weggibt. Es gibt noch viel zu erzählen.

Dieser Beitrag ist zuerst im Herbst 2022 in der gedruckten Ausgabe von 30 Grad erschienen.