Zwei Kreative – ein Projekt
Die mit vielen Bällen jongliert: Oskar Rink
„So bisschen lang“ war die Nacht, sagt Oskar Rink. Erstmal Kaffee also. Zwei Abgaben hat sie gehabt und dann sind da noch die zwei Bilder für eine Sammlerin in Paris, die fertig werden müssen. Hinter ihr surrt leise der Kühlschrank. An der schwarzen Tür kleben ordentlich aufgereiht gelbe Post-its. Seit heute zwei weniger. „Ich liebe durchstreichen“, sagt die Leipziger Künstlerin. „Und ich hasse es, etwas zu vergessen.“
Die Ecke, in der Kühlschrank, Kochplatte und ein Tisch stehen, ist die Kommandozentrale in ihrem großen Atelier, 120 Quadratmeter, fünf Meter hohe Decken, in der Alten Spinnerei, dem künstlerischen Herz der Stadt. An einer Säule lehnt ein Bild, an dem sie gerade arbeitet. Neben dem Eingang stehen fertige Gemälde umgedreht an der Wand. „Ich brauche immer noch Zeit und muss sie mit neuem Blick anschauen.“ In der Ecke gegenüber ist eine neue Leinwand aufgebaut, links ein Tisch mit Ölfarben, rechts einer mit Acryl-Tuben. Daneben trocknen ein paar Untergründe. „Dauert 400 Jahre“, weiß sie aus Erfahrung. In den Regalen: Werkzeug, Papier, Folie, Rahmen, Klebeband, Bücher und Zeitschriften. Unter einem eingezogenen Zwischenboden steht ein Sofa auf zwei Europaletten. „Mein Atelier ist mein liebster Ort, hier bin ich die meiste Zeit meines Lebens.“


Die 40-Jährige jongliert mit den künstlerischen Darstellungsformen. Sie malt, bevorzugt sehr großformatig, aber seit neuestem auch deutlich kleiner. Sie entwirft raumgreifende Objekte und Skulpturen. Was gebaut wird, wird auch gemalt. Und umgekehrt. Dazu kommen spontane Aktionen wie der Anzug aus rosa Knipsfolie, den sie im Lockdown geschneidert hat, oder der Overall aus golden glitzernder Sicherheitsfolie. Eine ziemlich fummelige Arbeit, sagt sie, aber sie hat in München an einer Modeschule studiert, bevor sie in London bei „Sotheby’s“ einen Master in Kunstgeschichte machte.
Viele Motive, die in ihren Arbeiten zu sehen sind, stehen in ihrem Atelier. Die Leiter, mit der sie malt, der Gummibaum, dessen fleischige Blätter sie so gerne mag. Und die vielen Stühle, die hier quer verteilt auf dem Boden stehen. Geometrie, Formen, Haptik, Farben – Rink liebt alles, was einen Raum definiert.


Wenn sie mal nicht weiterkommt, dann setzt sie sich auf den alten grünen Holzstuhl, der mit vielen kleinen Farbkleksen besprenkelt ist. Der stammt noch von ihrem 2017 verstorbenen Vater. Arno Rink war Wegbereiter der Neuen Leipziger Schule, Lehrer von Neo Rauch und vielen anderen, die später sehr berühmt wurden. „Den hat er in jungen Jahren mitgehen lassen.“ In der Kunsthochschule, vermutet sie. Im Grunde ist sie in seinem Atelier aufgewachsen. Der stechende Geruch von Terpentin, der grobe Holzboden, das offene Fenster zum Garten, das piksige Wildschweinfell auf dem Sofa – viele ihrer frühen Kindheitserinnerungen kreisen um den Arbeitsraum des Vaters. „Ich hab mir da immer Buden gebaut, während er in seine Bilder vertieft war. Später zeichnete ich die Ölschinken bei uns zu Hause ab.“ Heute trägt sie die alten Latzhosen ihres Vaters, wenn sie malt. „Die bringen Glück“, sagt sie. „Und die waren am Anfang nicht so eingesaut. Er hat nicht so rumgemanscht wie ich.“
Was auf den anderen Post-its steht, die am Kühlschrank kleben? Unter anderem eine Jacke, die sie gerade aus Spaghetti flicht. Da braucht es ein gutes Timing und eine große Portion Hartnäckigkeit. „Die dürfen beim Kochen nicht zu weich werden. Und wenn sie geflochten sind, nicht zu hart.“ Und dann ist da noch der alte Porsche, den sie geerbt hat. Den bastelt sie gerade aus Papier nach. Maßstab Eins zu Eins. Das Atelier als Garage: Platz genug hat sie ja.
Der mit der Wasserwage malt: Robert Seidel
Seinen Arbeitstag im Atelier beginnt Robert Seidel damit, dass er ein Ei aufschlägt. Das mischt er mit einem Teil Wasser und einem Teil Dammar, ein in Terpentin aufgelöstes Harz, bis eine zähflüssige Emulsion entsteht, die er schließlich mit Pigmenten der Farben anreichert, die er für den Tag braucht. Seine oft großformatigen Bilder malt er wie die alten Meister: mit Eitempera.
In seinem Atelier in der Alten Spinnerei in Leipzig herrscht monumentale Leere. Weiße Wände, hohe Decken, diffuses Licht aus Neonröhren. Ein kleines Küchenradio steht etwas verloren auf dem grauen Boden, eine Induktionsherdplatte liegt umgedreht auf einem Bierkasten. Ein Netz Orangen baumelt an dem Regler der Heizung. Sogar die große Leinwand, auf der er gerade eine Stadtansicht von San Francisco malt, wirkt an der Wand gegenüber der hohen Fenster klein. Wenn Besucher kommen, hängt er manchmal ein, zwei Bilder auf. Zu gemütlich soll es hier nicht sein.


„Ich komme aus einen Arbeiterhaushalt, und so sehe ich meine Arbeit auch. Ins Atelier gehen, hinsetzen, machen, dann passiert auch was.“ Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag. Mittwoch ist Ruhetag, sagt Seidel, Sohn einer Apothekenangestellten und eines Heizungsmechanikers. Er wollte nie etwas anderes werden als Maler.
Motive fand der 37-Jährige zunächst in seinem Nahbereich. Erst eher geografisch. Die speckgürtelige Architektur des Muldentals, wo er in Grimma aufwuchs, war ein wichtiges Thema zu Beginn. Wie ein Chronist untersuchte er Bauformen und dokumentierte Typologien. Bald kam seine popkulturelle Umgebung dazu. Er malte Plattencover von Soul und Reggae-Bands, die er gerne hörte, und zerlegte die coolen Posen der Musiker in Einzelteile. Er erweiterte die Labyrinthe des Computerspiel-Klassikers Pac Man ins Endlose und porträtierte das halbstarke Charisma von Motorrädern.
Einen Satz von Neo Rauch, in dessen Meisterklasse er seinen Abschluss an der Hochschule für Grafik und Buchkunst machte, ging ihm dabei nie aus dem Kopf. „Neo hat immer gesagt: ‚Früher oder später kommst du an der Figur nicht vorbei.‘ “ Aber wie findet man einen eigenen Weg? Wie löst man sich vom berühmten Lehrer, wie geht man auf die Menschen zu? „Beim Porträt musst du jemandem viel näherkommen. Das braucht eine andere Empathie als ein Plattencover abmalen.“



Einen Monat ist Seidel die Donau entlang geradelt, vom Schwarzwald bis zur Mündung am Schwarzen Meer. Unterwegs machte er Fotos, malte mit Wasserfarben, schrieb ein Tagebuch. Und er traf in den acht Ländern, die er durchquerte, die unterschiedlichsten Menschen. Die malte er für eine Porträtserie, die in der National Portrait Gallery in London ausgestellt wurde.
Wenn Robert Seidel arbeitet, dann sitzt er meist lange. Fleiß ist ihm wichtig. „Zehn, zwölf Stunden. Abends dann ein Bier. So verschwindet der Tag. Welche Konserve habe ich heute gegessen – Bohnen oder Linsen? Viel mehr habe ich dann nicht zu erzählen.“ Er wechselt nicht zwischen den Bildern. Erst wird aufgezeichnet, dann gemalt. Wenn ein Bild fertig ist, kommt das nächste. Manchmal schiebt er ein Paar Turnschuhe dazwischen – noch so eine Serie. Vom Retro-Klassiker bis zum ugly sneaker mit wulstigen Solen malt er die Schuhe auf abgeschliffene Malpappen.
„Ich wollte nie der Maler mit einem Steckenpferd sein“, sagt er. Weder inhaltlich, noch gedanklich. So bleibt er auf der Suche. Im letzten Jahr wurde der Wald zu einem wiederkehrenden Thema. Er wohnt ja mit seiner Familie am Waldrand. Ganz ohne biografische Dringlichkeit fängt er nicht an, morgens ein Ei aufzuschlagen und mit Pigmenten anzureichern, um den Ton zu treffen.


Diese Geschichte ist zuerst in der gedruckten Ausgabe von 30 Grad erschienen im Frühling 2021. Das Magazin ist hier kostenfrei zu abonnieren.