Osman, mein Barbier!
Vor Osmans Laden sitzen drei Alte, sie rauchen. Osman öffnet mir die Glastür, Sohn Erdem rückt den schönen, mit hellbraunem Leder bezogenen Barbierstuhl zurecht, reicht dem Vater die Schere. Der fängt an. Ohne mich zu fragen, wie ich’s gerne hätte. Weil er selber ja viel besser weiß, was mir steht. Kein Radio. Osman schwingt die Schere. Und schweigt. Gutes Schweigen. Es fühlt sich alles richtig an.
Ich gehe ungern zum Friseur. Die Nacht davor schlafe ich schlecht. Weil ich nicht weiß, was ich sagen soll, wenn ich nach der Wunschfrisur gefragt werde. Weil ich mich gefesselt fühle. Weil ich mir, die Haare nass nach unten gekämmt, würdelos vorkomme. Weil ich Panik vor dem Smalltalk habe. Und sonst, wie geht’s so? Die Kinder? Das Wetter, ja, ja. Dazu nerviges Radiogedudel. Weil da auch Panik vor dem Spiegelmoment nach der Vollendung herrscht. Und vor der Frage: Passt’s?
Nachdem ich nach Istanbul gezogen war, sagte man mir, ich müsse zum Barbier gehen. Barbiere seien wahre Handwerkskünstler. Na gut, dachte ich mir, vielleicht verliere ich da ja meine Friseurphobie. Jetzt sitze ich bei Osman. Irgendwann fragt er knapp: „Jilet?“ Erdem übersetzt: Rasieren? Ich nicke. Der Sohn reicht heißes Wasser, der Vater tunkt den Pinsel darin ein, dann in den vorbereiteten Schaum, dann bemalt er mein Gesicht, kurz sticht es heiß, schließlich breitet sich die angenehme Wärme aus. Osman setzt die scharfe Klinge an, leises Schaben. Ein stiller, würdevoller Moment. Plötzlich verstehe ich die Erhabenheit, die ein solches Handwerk an den Tag legen kann.
Ein Handwerk, das in der Türkei höchstes Ansehen genießt. Wer Barbier ist, ist wer. Gilt als was. Er ist ein Vertrauensmann, ein stolzer Kümmerer, eine ehrenvolle Seele. Vielleicht wie in weiter westlichen Gefilden ein guter Kneipier.
Beinahe vergesse ich den Spiegelmoment, der gleich sicher noch kommen wird – samt der Frage: Gefällt’s? Doch beides bleibt aus. Stattdessen treten die drei Alten herein, stellen sich hinter mich. Sie begutachten Osmans Werk. „Çok güzel!“, urteilt schließlich einer. Die anderen murmeln zustimmend. Ich auch. Schon will ich einen neuen Termin machen, was ich sonst nie mache. Doch da kommt Osman mir zuvor, spricht, der Sohn übersetzt wieder: „Wir sehen uns in zwei Wochen.“ Ich nicke – und freue mich schon. Osman, mein Barbier!
Lenz Koppelstätter ist Bestsellerautor, er schreibt auch für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und Salon. Derzeit lebt er in Istanbul.
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