Plötzlich blond
Neulich ließ ich mir die Haare blond färben. So weizenblond, fast platinblond. Ich habe eigentlich dunkelbraunes Haar und wollte wissen, ob ich mir selbst fremd werde, wenn ich plötzlich erblonde, ob sich da neue Möglichkeiten auftun. Gut, ich gebe zu, es lag gewiss auch an Sick Boy aus Trainspotting, dessen Frisur ich eines Tages zu kopieren mir schwor, seit ich den Film das erste Mal sah. Über den Vorgang des Färbens möchte ich gerne schweigen. Hamit, mein türkischer Friseur, machte falsch, was falsch zu machen war: gebleichte Kopfhaut, unerträgliche Schmerzen, ein Peroxidmassaker. Ich erzähle lieber vom Danach. Ohne jeden Zweifel gab es ein Davor und ein Danach. Ich trug keine Frisur mehr, ich trug eine Zäsur. Es existieren nicht mehr viele Gewissheiten zur Männlichkeit, alles ist lockerer und fluide geworden. Nur eine Gewissheit hat doch noch Bestand: Ein Mann mit dunklem Haar wird nicht blond!
Ich wurde ausgelacht, angefeindet und angestarrt. Häufigste Frage von Freunden und im Job: Warum hast du das getan? Mit dieser entsetzten Betonung auf der letzten Silbe, als hätte ich einen Retrieverwelpen ertränkt. Während das Färben den Frauen selbstverständlich zugebilligt wird, scheint für Männer eine Regel zu gelten, die als bestätigende Ausnahmen allenfalls Justin Bieber und tätowierte Profifußballer zulässt.
Für den Mann jenseits der 30 gilt offenbar: Waren ihm bis dato noch gewisse Flausen erlaubt, hat er jetzt ausgereift zu sein, charakterlich wie optisch. Ich, der es gewagt hatte, daran zu rütteln, wurde folglich beäugt wie jemand, dem wirklich alles zuzutrauen sei. Mein Kumpel wollte sofort wissen: Schreibst du jetzt überhaupt noch für deine Zeitung? Als hätte ich färbungsbedingt kündigen müssen, oder man mir. Nach wenigen Wochen rasierte ich die Haare wieder ab, der Ansatz war nachgewachsen. Meine blonde Phase hatte mich ausgelaugt. Die Welt war nicht bereit dafür – und ich war nicht bereit für die Empörung der Welt. Allerdings trug ich nun zum ersten Mal einen buzz cut, acht Millimeter kurz. Die diesbezüglichen Reaktionen waren – ach nein, das ist eine andere, traurige Geschichte.
Moritz Herrmann leitet das Gesellschaftsressort des Sterns. Er lebt in Hamburg. Mittlerweile trägt Herrmann seine Haare übrigens wieder naturbraun und mittellang.
Diese Kolumne ist zuerst in der gedruckten Ausgabe von 30 Grad erschienen im Herbst 2020. Das Magazin ist hier kostenfrei zu abonnieren.