Rolls-Royce der Meere
Mysteriös liegt er da an diesem Morgen Anfang August: der Lago di Como. Dunkelblau und glatt wie poliertes Holz. Wenn Erio Matteri diese Stille mit dem Motor seiner Riva, Modell Tritone, durchbricht, freut er, sich wie ein kleiner Junge. „Das ist Musik!“, ruft er als der Innenbordmotor beim Beschleunigen kräftig aufheult.
Erio Matteri, 65 Jahre alt, wettergegerbte Haut, muskulös, ist Bootsbauer und vor allem: Bootsrestaurateur. Er ist Inhaber des Cantiere Nautico Matteri in Lezzeno, einer 2.000-Seelengemeinde am südlichen Ende des Comer Sees. Die Firma ist ein Familienunternehmen, 150 Jahre alt, vier Generationen Holz- und Bootsbauexpertise. Die Werft am Seeufer ist vollgestellt mit Ersatzteilen, Motoren, besten Mahagoni-Planken und, natürlich, jeder Menge Boote. Erio hat sich auf das Renovieren von Riva-Holzbooten aus den 50er und 60er Jahren spezialisiert. Entworfen wurden sie von Carlo Riva nur einen See weiter, am Lago d’Iseo. Echte Prachtstücke aus feinstem Mahagoni, beste italienische Handwerkskunst.
Ein Rivaboot war das Fortbewegungsmittel, in dem sich der Jetset in den Sommermonaten der 1960er am liebsten zeigte. Sophia Loren glitt auf dem Boot mit der Chromverkleidung und dem schlank auslaufenden Heck ebenso über die Wellen wie Sean Connery und Gunther Sachs, während dessen Freundin Brigitte Bardot sich auf den Mahagoniplanken räkelte.
Etwa 4.000 der edlen Stücke wurden gebaut, bis Carlo Riva sein Unternehmen 1969 verkaufte und man
später die Holzfertigung aufgab. Die heutigen Riva-Modelle werden von der Ferretti-Gruppe produziert und bestehen aus Kunststoff und Fieberglas. Was die alten – von denen es noch etwa 2.000 gibt – umso begehrter macht: Bis zu 600.000 Euro kosten die Designklassiker.
Für Erio Matteri sind die Originale Rivas Kunstwerke. Er hat sich ihrer erbarmt, als Kunststoff in der Designwelt der 70er-Jahre seinen globalen Siegeszug antrat und immer mehr von ihnen allmählich verrotteten, manche Besitzer sie sogar versenkten oder zu Brennholz verarbeiteten, weil es keine Ersatzteile mehr gab. 40 Stück konnte Matteri zu sagenhaft günstigen Preisen ergattern. Dass die Boote einmal wieder eine solche Wertschätzung erfahren würden, nein, das war damals unvorstellbar. Er liebt sie einfach.
„Sie sind mein Alltag! Meine Leidenschaft! Mein Einkommen! Mein Leben!“ Holzplanke für Holzplanke nimmt er sie auseinander, bearbeitet jeden Quadratzentimeter und baut sie anschließend wieder zusammen. 15 Rivas hat er in seiner Werft zur Restauration stehen, Kunden schicken sie aus Neuseeland und Kanada, per Frachter oder Bahn.
Nebenan in seinem Yachtclub lagern rund 40 weitere, die Besitzer bei ihm parken, wenn sie ihre Liebhaberstücke nicht benutzen, aber in den besten Händen wissen wollen. Selbst gehören Matteri sechs Rivas, er vermietet sie inklusive Skipper für 3.500 Euro am Tag. Man kann kaum glauben, was für Wertobjekte hier so herumstehen als seien es ganz normale Boote. Auch die vergilbten Fotos, die die Wand der Werkstatt schmücken, und Matteri mit illustren Kunden wie Bill Gates, Brad Pitt oder Antonio Banderas zeigen, wollen nicht recht zu diesem Betrieb passen, der so unprätentiös daherkommt wie das kleine Firmenschild, das sich oben an der Straße in den Büschen versteckt.
Um sieben Uhr beginnt Matteris Tag, spätabends endet er. In den Sommermonaten arbeitet er sieben Tage die Woche, in den Wintermonaten macht er, wenn’s sein muss, am Wochenende auch mal frei. „Meine Mutter sagt, wäre sie ein Boot, hätte sie in ihrem Leben mehr von ihrem Mann gehabt“, erzählt Tochter Francesca, die sich um die Finanzen im Hause Matteri kümmert. Mutter Paola spielt währenddessen mit den Enkeltöchtern – und träumt von einem Leben in Australien. „L’Australia è bella!“, sagt sie. Den wunderschönen Blick auf den Comer See, den sie aus ihrem Wohnzimmer hat und für den immer mehr Berühmtheiten immer mehr Millionen Euro zu zahlen bereit sind, hat sie mit dunklen Vorhängen verdeckt. „Italien? Ach … Australien! Das wär’s!“ Und dann muss sie doch ein wenig grinsen.
So früh am Morgen ist niemand unterwegs, der See gehört Matteri allein, nur das Kreischen der Möwen gesellt sich zu dem Motorengeräusch. Bis zu 90 Stundenkilometer schnell fährt eine Riva und Matteri liebt es, Gas zu geben. Das da sei George Clooneys Anwesen, erklärt er, „er ist vor vier Tagen abgereist“, dort das von Angela Missoni, „eine gute Freundin von uns“, und das, das sei Richard Bransons, „kann jeder mieten – für 125.000 Euro die Woche.“ Sobald Matteri ein Boot erspäht, hat er ein Fernglas zur Hand. Schließlich muss er wissen, wer auf seinem See so verkehrt.
„Die Rivas sind perfekt so, wie sie sind“, schwärmt er. Deshalb verändert er nie etwas an ihnen, auch nicht das kleinste Detail. Selbst wenn ihn einer seiner berühmten Nachbarn darum bitten würde: „Keine Ausnahmen!“
Das Handy klingelt. Hat jemand ein Problem mit dem Motor seines Boots, ruft er bei Erio an. Ist jemand auf der Suche nach einer eigenen Riva, ruft er auch Erio an. Und will jemand eine Einschätzung, ob eine Riva den Preis wert ist, den der Verkäufer dafür haben will, ruft er natürlich auch Erio an. „Boote machen immer Probleme!“, sagt der. Und was ist sein größtes Problem? „Dass ich nicht ‚Nein‘ sagen kann!“ So wird sein Telefon weiter ständig klingeln – auch weil er kann, was wenige können: Erio braucht nur das Holz abzuklopfen, um zu wissen, ob es von innen morsch ist und wie viel Zeit in eine Restauration investiert werden muss. Mal kalkuliert er 500 Arbeitsstunden, mal sind es 3000. Ob er schon mal eine Restauration abgelehnt habe, weil sie zu schwierig gewesen sei? Da schüttelt er den Kopf, nein. „Wir können hier alles“, sagt er, und klingt dabei nicht arrogant. Am Ende ist es nur eine Frage des Preises. „Nur wer ein exzellenter Bootsbauer ist“, weiß Matteri, „kann auch exzellent restaurieren.“
Zum Bootsbauen kommt er derzeit nur selten, die Rivas halten ihn beschäftigt. Tochter Francesca ist nicht traurig darum. Der Vater brauche das immer mal zur Abwechslung, dann baue er Sportboote wie seine Electro Zero Emission Boats oder eine Neu-Interpretation der „Lucia“ – eine Art venezianische Gondel mit Laubendach, in die sich einst auch Gianni Versace verliebte und die das Markenzeichen der Matteris war, als die Firma noch von Erios Vaters geleitet wurde. Francesca sagt: „All diese Ideen, die er hat! Sein Perfektionismus! Das Akribische! Das ist nicht rentabel!“ sagt sie. Da sei es gut, dass er sich bei den Riva Booten auf die ursprünglichen Vorgaben konzentrieren muss.
Es gibt ein altes Sprichwort: Wer mit den Füßen auf dem See geboren wurde, der kann ihn nicht verlassen. Wegziehen kam für Erio Matteri nie in Frage. Schon als kleiner Junge kam er nach Schulschluss immer in die Werft.
Wer irgendwann mal übernimmt? Vater und Tochter schauen einander an. Nein, darüber hätten sie sich noch keine Gedanken gemacht. „Wir denken nicht an morgen, sondern leben den Moment“, sagt Francesca. Natürlich würde wirtschaftlich mehr gehen, sie könnten noch mehr Boote bauen, noch mehr restaurieren, expandieren. Aber dann müssten sie sich anders aufstellen, momentan sind sie hier zu sechst, inklusive Francesca und Paola. So können sie, wie heute, nach einem langen Tag bei Cola und Kaffee kurz zusammenkommen, ein bisschen über den Tourismus plaudern, die Gegend, Italien, die Welt – und über die Boote. „Momentan läuft doch alles prächtig“, sagt Erio. „È fantastico!“
Dieser Beitrag ist zuerst im Herbst 2016 in der gedruckten Ausgabe von 30 Grad erschienen.