Was macht gute Unternehmensführung heute aus? Darf man noch Macht ausüben oder sollte man sich immer auf Augenhöhe begegnen? Darüber wird viel diskutiert, auch im Hause MÜHLE. Ein Gespräch über den Balanceakt Chefsein, das persönliche Menschen­bild als Leitmotiv und warum ein Spitzenprodukt nur in einer schönen Umgebung entstehen kann.

„Am Ende soll es den Menschen gut gehen“

Andreas, Christian, seid Ihr eigentlich gerne Chefs?

Andreas Müller (AM) Wir sind beide nicht die klassischen Rampensäue, die Alphatiere, die immer voran gehen. Aber wir haben eine Vision, wo wir das Unternehmen hinsteuern wollen, wie wir die geeigneten Strukturen dafür aufbauen und die richtigen Leute dafür gewinnen. So sehe ich uns. Wir versuchen, das Unternehmen ständig weiterzuentwickeln, auf eine Art und Weise mit der die Mitarbeiter klar kommen und sich geborgen fühlen.

Andreas, Du hast Theologie studiert, wolltest eigentlich mit dem Unternehmen Deines Vaters und Großvaters nichts weiter am Hut haben. Wann und warum kam Euch erstmals der Gedanke, Ihr könntet in der Führung dieses Unternehmens ein gutes Duo abgeben?

AM So richtig reflektiert haben wir die Entscheidung nie. Christian ist 1989 ins Unternehmen eingestiegen. Das war eine schwierige Zeit hier im Osten, zumal im Erzgebirge so kurz nach der Wende. Alle Betriebe waren aufgelöst oder bankrott, es gab keine Lehrstellen. Unser Vater hat wie viele ums Überleben gekämpft. Da lag Christians Entscheidung nah.

Christian Müller (CM) Es gab auch eine Erwartungshaltung unseres Vaters. Irgendwann erkannte Andreas, dass das etwas werden kann mit der Marke. Als er in die Firma kam, hat es Fahrt aufgenommen. Am Ende ist alles aufgegangen, das Geschäft hat sich gut entwickelt. Alleine hätte ich das nicht schaffen können.

Nach Verstaatlichung zu DDR-Zeiten, Reprivatisierung in den 1990ern, konntet Ihr MÜHLE in der 3. Generation zu dem machen, was es heute ist: ein internationales Unternehmen mit einer breiten Produktpalette und der gesamten Fertigung hier im Erzgebirge, wo alles begann. Was war Euch in der Unternehmensführung besonders wichtig?

CM Was uns immer am Herzen lag, war das Betriebs­klima. Schon unserem Vater war es wichtig, dass hier eine positive Stimmung herrscht und die Mitarbeiter das nach außen tragen. Das fand ich inspirierend.

Wie würdet Ihr Euren Führungsstil in wenigen Sätzen beschreiben?

AM Wir führen so, wie wir sind und wie wir selbst gerne behandelt werden wollen. Wir arbeiten hier mit Freunden und Nachbarn zusammen, teilweise kennen unsere Mitarbeiter uns von kleinauf – da begegnen wir uns automatisch auf Augenhöhe.

CM Ein Befehlston hat hier nie geherrscht. Das würde auch niemand verstehen.

AM Teils kamen Leute aus Großunternehmen zu uns, wo mit Einschüchterung gearbeitet wurde – die waren andere Führungsstile gewohnt und konnten unsere Art gar nicht verstehen, haben uns diese als Schwäche ausgelegt und eine Weile gebraucht, bis sie verinnerlicht hatten, dass wir anders ticken. Wir denken, nur wenn ein gutes Klima herrscht und die Leute stolz sind auf das, was sie tun, kann etwas Gutes entstehen. Sonst verbrauchen sie sich, werden körperlich oder seelisch krank.

Wie entsteht solch ein Stolz?

CM Dafür gibt es viele Gründe. Bei einer renommierten Marke arbeiten zu können, mit einem guten Betriebsklima. Aber auch die Internationalität, dass wir jetzt einen Store in London haben, nach China exportieren, dass es das Magazin „30  Grad“ gibt, Veröffentlichungen über Mühle – all das hebt an.
Ihr sagtet mal, dass Ihr Bauchgefühl-Typen seid – Euch so auch Geschäftspartner aussucht. Ist diese Form von Führung ab einer gewissen Unternehmensgröße ausgereizt?

AM Nein. Apple hat das immer gelebt, lebt es noch jetzt. Letztendlich geht es um Intuition, man darf nicht zu lange auf einer Sache herumdenken.

CM Wir haben uns selten von Zahlen lenken lassen, vielleicht ist das falsch. Wir sind beide keine Betriebswirtschaftler. Aber das ist unser Stil.

AM Wir wollen mit Leuten arbeiten, die wir mögen. Dafür haben wir durchaus öfter den höheren Einkaufspreis in Kauf genommen, aber hatten immer Spaß. Wir verbringen ja unsere Lebenszeit hier, das soll Freude machen.

Wie sorgt Ihr für Feedback?

CM Die Tür bei uns ist immer offen, jeder kann kommen.

Und das tun die Leute?

AM Ja! Sie kommen und sagen: „Wir müssen jetzt reden!“ Egal, ob wir gerade in einem Termin stecken. Wir versuchen uns dann Zeit zu nehmen, es kostet ja auch ein wenig Überwindung hier zu uns hoch zu kommen.

CM Wir haben einen Briefkasten, wo man uns Dinge mitteilen und sich beschweren kann. Machen auch einige. Wenn es Zoff gibt, versuchen wir natürlich zu schlichten und appellieren an die Vernunft. Wir sind auch bei kleineren Dingen involviert und fragen uns dann natürlich manchmal: Muss das jetzt sein? Aber am Ende ist das wichtig.

Ihr tut eine Menge für Eure Mitarbeiter: Ihr unterstützt das Leasing von E-Bikes, den schönsten Raum im Gebäude habt Ihr zur Kantine gemacht, Ihr fahrt regelmäßig zusammen weg – es gibt sogar einen Fitnesstrainer, der einmal die Woche Programm macht. Wie kommt Ihr auf die Ideen?

CM Wir hören von anderen Firmen, was die alles machen, da lassen wir uns auch inspirieren. Wir über­legen natürlich, wie wir die Mitarbeiter halten können. Bei den E-Bikes und auch dem Sportprogramm haben wir auch noch einen anderen Hintergedanken: Wir wollen die Leute fit halten, damit sich die Krankenzeiten reduzieren.

AM Wir versuchen es hier so schön wie möglich zu machen. Man kann irgendeine Arbeitsbank benutzen oder aber man arbeitet mit den Arbeitsplatzsystemen von Botts, die nach neuestem Standard der Ergonomie entwickelt worden sind. Unsere Stühle sind von Bimos, die aktuell die besten Arbeitsstühle herstellen, die es auf der Welt gibt – vom Fraunhofer Institut entwickelt. Wir bezahlen auch die Arbeitskleidung der Mitarbeiter, unterstützen deren Vereine, bieten flexible Arbeitszeitmodelle an und beteiligen Mitarbeiter an Gewinnen. Für uns hängt alles zusammen.

Was heißt das?

AM Wie kannst Du ein Spitzenprodukt produzieren, aber in der Firma sieht es muffig aus? Das geht nicht! Ordnung, Sauberkeit und Design sind wichtig. Es gelingt noch nicht in jedem Ansatz, aber was beispielsweise die Arbeitsbedingungen anbelangt, sind wir richtig weit vorne. Die Frage ist doch immer: Steht der Mensch im Mittelpunkt deines Tuns? Es ist immer ein Balanceakt. Am Ende muss der Kunde zufrieden sein, das Produkt muss einen vernünftigen Preis haben. Aber warum arbeiten wir? Weil wir immer mehr Geld erwirtschaften wollen? Das auch. Wir wollen erfolgreich sein. Am Ende aber soll es den Menschen gut gehen.

Dieses Interview ist zuerst in der gedruckten Ausgabe von 30 Grad im Herbst 2019 erschienen.