Heimat zum Trinken
Der Berg trägt schwer am winterlichen Nebel. Die Reihen der Reben teilen den Hang in akkurate Streifen. Unten im Tal glänzt die Nahe wie ein silbernes Band. Hier, wo sich der Fluss von Bad Kreuznach kommend verengt, finden sich die besten Weinlagen der Region. Neun davon – so genannte große Lagen – gehören zum Weingut Dönnhoff. Stücke von Grauschiefer bedecken den Boden, so weich, dass man sie zwischen den Fingern zerkrümeln kann. Hinter einem Gittertor liegt der Eingang zur Hermannshöhle, früher ein Kupferstollen und noch früher der Legende nach eine römische Kultstätte für den Gott Hermes. Von hier kommen einige der besten Rieslinge der Welt, ausgezeichnet mit unzähligen Preisen, von Experten in blumigen Worten gepriesen.
Cornelius Dönnhoff hat dunkle Schatten unter den Augen. Der junge Chef des Traditionsweinguts ist gerade zurück aus New York, wo er den Sommeliers einiger Spitzenrestaurants seine Weine präsentiert hat. Riesling ist angesagt in den USA. Immer noch beliebt sind die restsüßen Spätlesen, für die die Naheregion berühmt ist, aber auch die trockenen, die sie hier auch können. „Riesling ist als Rebsorte so interessant, weil er komplett trocken oder extrem süß sein kann und alles funktioniert. Er kann unendlich viele Aromen haben, weil er danach schmeckt, wo er herkommt“, sagt Dönnhoff.
Wenn er über seine Weine spricht, kommt ihm der überstrapazierte Begriff “Terroir” – wörtlich übersetzt „Erdreich“, nicht über die Lippen. Cornelius Dönnhoff ist keiner, der marketingtaugliche Sprüche von sich gibt. Wenn ihm doch einer rausrutscht, scheint ihm das fast peinlich zu sein. Dabei beherrschen wenige die Kunst, den Boden, das Terroir, schmeckbar zu machen, so gut wie die Dönnhoffs. Riesling ist ein Wein, der sich der Globalisierung widersetzt. Heimat zum Trinken gewissermaßen. Denn „Terroir“ gilt als Gegenbewegung zu dem im Keller erzeugten Einheitsgeschmack von Massenweinen – als Qualitätsmerkmal eines guten Weines. Aber natürlich bedeutet „Terroir“ mehr „als die Steine, die da liegen“ erklärt Dönnhoff. Neben dem Boden spielt auch die Witterung eine Rolle – und der menschliche Einfluss. „Wir lassen die Pflanzen ja nicht machen, was sie wollen“, sagt Dönnhoff. Was er bescheiden als ‚menschlichen Einfluss’ beschreibt, erfordert handwerkliche Präzision, Erfahrung und eine klare Vorstellung von dem Wein, den man machen möchte. Vom Beschnitt der Reben im Winter über den Tag der Lese im Herbst bis hin zur Behandlung des Mosts im Fass, gilt es viele Entscheidungen zu treffen. Jede hat Einfluss auf den Geschmack des Weines.
Gegründet wurde das Weingut Dönnhoff vor über 200 Jahren von Hermann Dönnhoff als landwirtschaftlicher Betrieb. Wein, erklärt der Ur-Urenkel, wurde nur nebenbei gemacht, um für gelegentliches Einkommen zu sorgen. Erst Cornelius Vater Helmut gab die Landwirtschaft auf, um sich dem Weinbau zu widmen. Und das zu einer Zeit, als es um den deutschen Wein schlecht bestellt war. In den 1950er und 60er Jahren setzte man verstärkt auf billige Massenweine, für die die Steillagen der Nahe viel zu arbeitsintensiv waren. Das Weingesetz von 1971, in dem Lagen und Qualitätsstufen so ausgeweitet wurden, dass auch gezuckerte Verschnitte als große Weine vermarktet werden konnten und schließlich der Skandal um mit Glykol gepanschten Weine Mitte der 1980er, beschädigten den Ruf deutscher Weine nachhaltig.
Helmut Dönnhoff ließ sich nicht beirren. Mit sturem Qualitätsbewusstsein machte er gute Weine, die weniger auf Sensationsgeschmäcker als auf schlichte Eleganz setzten. Da die nicht immer leicht zu verkaufen waren, knüpfte er Kontakte in die USA – heute Hauptexportland für Dönnhoff-Weine. Wenn sie wollten, könnten die Dönnhoffs gesamte Jahrgänge in die USA verkaufen, bevor sie überhaupt geerntet sind. Wollen sie aber nicht. Schon allein der Stammkunden wegen, die seit Generationen bei ihnen kaufen. Beharrlich erwarb Helmut Dönnhoff im Laufe der Jahre weitere Flächen dazu – nur erste Lagen. Solche, die eine einfache Bauernfamilie wie die seine in früheren Zeiten nie bekommen hätte, da sie großbürgerlichen Familien vorbehalten waren. Er begann mit rund sechs Hektar, heute sind es 28. Nach und nach wurde Helmut Dönnhoff vom Geheimtipp zum „Rieslingkönig von der Nahe.“ Die Auszeichnungen häuften sich. „Weingut des Jahres“ befand der Gault Millau, der Feinschmecker verlieh mehrfach den Rieslingpreis und der berühmte amerikanische Weinkritiker Robert Parker 100 von 100 möglichen Punkten für den Eiswein des Hauses. „Nobody knows Nahe but everybody knows Dönnhoff“ befand das US-Magazin Wine Spectator.
Und der Sohn? Lernte Weinbergstechniker, arbeitete bei Winzern in Australien und Neuseeland und übernahm, während der Vater im Rampenlicht stand, stillschweigend 2007 die Leitung des Guts. „Ich nehme ihm ein bisschen den Ruhm weg“, sagt der Vater entschuldigend. „Ach“, winkt der Sohn ab, „da bin ich froh drum. Ruhm interessiert mich nicht.“ Sie haben den Wechsel nicht einmal bekannt gegeben. „Wir stehen ja in der Öffentlichkeit, da gibt es immer den einen oder anderen, der darauf wartet, uns eins mitzugeben.“ Fünf Jahre lang ist der Wechsel niemandem aufgefallen, dann bekamen sie doch noch einen mitgegeben. 2015 stufte der Gault Millau das Gut in seiner Wertung herab. „Zu gefällig“, seien die Weine geworden. Cornelius Dönnhoff nimmt es gelassen. „Es wird so viel geschrieben, wenn ich mir das alles zu Herzen nehmen würde, hätte ich keinen Spaß mehr.“
Spaß ist wohl nicht ganz das richtige Wort, um die Beziehung zu seinem Beruf zu beschreiben. Wie beim Vater, der immer noch auf dem Gut mitarbeitet und mit dem er den detailverliebten Perfektionismus teilt, ist es eher Leidenschaft. Ein ständiges Ringen um die richtige Balance. „Ein guter Wein darf nicht nur sauer sein oder nur süß, er darf nicht zu viel oder zu wenig Alkohol haben. Es ist wie bei einem Musikstück – wenn da ein Instrument nicht den richtigen Ton trifft, klingt das ganze Stück falsch.“ In der Weinproduktion geht es immer darum, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen. Die Natur und das Wetter bleiben unberechenbar. Bangen, zittern, hoffen – das hat sich trotz moderner Technik nicht geändert. Erst im vergangenen Jahr wieder, in der Nacht zum 28. April 2016, haben die Dönnhoffs kurzerhand 500 Kerzen aufgestellt, um zu verhindern, dass der Nachtfrost die zarten Triebe zerstört. Oder im Morgengrauen nach einer Frostnacht im Licht der Stirnlampe die – gerade richtig angefrorenen – Beeren für den Eiswein zu ernten. Das mag dem Großstädter, der mit dem ersten Kaffee des Tages in der Hand gegen neun Uhr den Rechner hochfährt, romantisch erscheinen. Für den Spross einer Winzerfamilie bedeutet es Frust und frostige Finger. „Als Jugendlicher wollte ich auf keinen Fall Winzer werden“ erzählt Cornelius Dönnhoff. „Ich habe ja gesehen, wie viel Arbeit das ist. Wir arbeiten mit der Natur und die Natur interessiert es nicht, ob Sonntag ist oder du Geburtstag hast.“ Er besann sich anders und beantwortet heute die Frage, ob Winzer ein Traumberuf sei mit „Meiner schon.“
Aber was schließlich aus der Flasche fließt, ist natürlich nicht einfach der Geschmack der Landschaft, sondern Dönnhoffs Vision davon. So wie erst die vollendete Kunstfertigkeit des Malers es ermöglicht, das Bild einer Landschaft zu erschaffen, das „natürlich“ aussieht und nicht „gemacht“. Um die Vision präzise umzusetzen, wird bei den Dönnhoffs jede Parzelle einzeln ausgebaut und nachträglich verschnitten. In der Küche stehen Flaschen mit handbeschrifteten Etiketten aufgereiht wie im Labor eines Alchimisten – und wie der Alchimist auf der Suche nach der Weltenformel ist, probiert der Weinmacher so lange bis das richtige Mischungsverhältnis gefunden ist. Dabei ist jede Menge Intuition gefragt. „Man kann das Weinmachen nicht aus einem Buch lernen, man braucht Bauchgefühl, ein Gefühl für die Landschaft”, sagt Dönnhoff. “Man muss spüren, was man einem Weinberg zutrauen kann“.
Dieser Beitrag ist zuerst in der gedruckten Ausgabe von 30 Grad im Frühjahr 2017 erschienen.