Auf dem MÜHLE-Firmengelände steht ein Neuling: Keine laute Diva, sondern ein markantes Gebäude aus viel Holz, geschliffen und scharfkantig wie die Rasierhobel, die hier produziert werden. Ein Gespräch mit Sebastian Thaut vom Architekturbüro Atelier ST und Bildern von Simon Menges.

Wie gibt man einer Produktionshalle eine Seele?

Der Umbau einer 1.000 Jahre alten Kirche in Apolda zum Beispiel. Ein Gehöft in der Uckermark das vom Biohof Gut Kerkow zu einem Resort mit Ferienwohnungen und -häusern entwickelt wird. Ein Hotelkomplex in Halle an der Saale. Bei dem 2004 von Silvia Schellenberg-Thaut und Sebastian Thaut gegründeten Architekturbüro Atelier ST liegen stets mehrere Projekte auf dem Schreibtisch. Eins davon ist gerade abgeschlossen: In Hundshübel im Erzgebirge hat Atelier ST für MÜHLE eine neue Werkhalle entworfen, abgeleitet von den Firmenwerten. Ein Heimspiel für das Büro aus Leipzig. Sachsen ist und bleibt für das Architektenduo Heimat, das für sein Spiel mit Sehgewohnheiten bekannt ist, für die Übersetzung von vermeintlich Vertrautem in etwas Eigenständiges.

Herr Thaut, Atelier ST ist bekannt für Arbeiten im historisch gewachsenen Kontext. Nun haben Sie für MÜHLE eine Werkhalle fertiggestellt, auf einem Gelände, das seit über 70 Jahren baulich wächst: Wie zufrieden sind Sie mit dem Endergebnis?

Das darf am Ende aber nicht nach Selbstbeweihräucherung klingen! (lacht) Ich würde sagen, uns ist ein sehr konsequenter Bau gelungen, darüber freuen wir uns.

Konsequent bedeutet was genau?

Bei dem neuen Gebäude handelt es sich ja – ganz profan gesprochen – um eine Produktionshalle, einen Industriebau auf einem Gelände mit noch anderen Industriebauten aus anderen Jahrzehnten. Unser Anspruch war demnach natürlich, ein besonders schönes und nachhaltiges Gebäude zu schaffen, das sich gut eingliedert und gleichzeitig abhebt. Bei den bisherigen Gebäuden wurde viel Stahl und Beton verwendet, viele Ziegel. Wir wollten einen Bau vorrangig aus nachwachsenden Rohstoffen schaffen, passend zur MÜHLE Heimat, dem Erzgebirge, wo es viel Wald und Holz gibt. So ist ein Bau entstanden, bei dem die primären Konstruktionselemente sowie die Verkleidungen aus Holz sind. Wir konnten den Nachhaltigkeitsgedanken insgesamt recht weit spinnen: der Bau versorgt sich aus seiner ganzen Energie Zirkulation selbst. Wir arbeiten dort mit Erdwärme, es gibt Photovoltaik-Elemente auf dem Dach, die den Strom für die Erdwärmepumpe liefern.

MÜHLE Produktionshalle
Der Neuling auf dem über Jahrzehnte gewachsenen Werksgelände von MÜHLE in Hundshübel
Nachwachsende Rohstoffe
Eine Werkhalle, abgeleitet von den Werten des Unternehmens: nachwachsende Rohstoffe treffen auf eine cleane Ästhetik
Luftaufnahme Produktionshallen
Umringt von anderen Produktionshallen aus anderen Zeiten, sollte sich die neue Halle abheben und gleichzeitig eingliedern
Neue Werkhalle
Viel Holz, viel Licht, viel Weite: In der neuen Werkhalle gibt es ein Haus im Haus, mit einem Besprechungsraum und einem Büro
Werkhalle Meeting-Raum
Für Architekt Sebastian Thaut schafft die Mischung das richtige Erlebnis – wie beim Kochen: in diesem Fall das Holz die Hauptzutat, die hohen Fenster und glatten Flächen die Gewürze
Wie hat sich die Zusammenarbeit zwischen MÜHLE und Ihnen ergeben?

MÜHLE-Geschäftsführer Andreas Müller hatte uns schon länger im Blick, eines Tages rief er an und sagte: Er möge, wie wir arbeiten, das Zeitgenössische im ruralen wie urbanen Kontext, wie wir mit der ländlichen Kultur umgehen. Und ob wir uns vorstellen könnten, das auch für sie umzusetzen. Sie bräuchten mehr Platz. Also sind wir hin und mochten uns auf Anhieb. Wir mochten, wie MÜHLE arbeitet – das Familiäre, den Manufakturcharakter, die klare Bekennung zum Standort und zur erzgebirgischen Lebenskultur. In der Architektur geht es ja viel um Vertrauen. Ohne sich wirklich zu kennen, entscheidet man sich dafür, einen meist mehrjährigen Weg miteinander zu gehen.

Inwiefern ist das Gebäude auch eine Übersetzung für das, wofür MÜHLE steht?

Wir haben den Entwurf stark abgeleitet von der Firmenkultur. Neben der Verwendung nachwachsender Rohstoffe, womit wir auf das für MÜHLE wichtige Nachhaltigkeitsthema eingehen und den ländlichen Standort, sollte das Gebäude etwas Straightes sein, das die Designkultur des Unternehmens transportiert: Das Silberglänzende der Rasierhobel, das Cleane, Geschliffene, Scharfkantige der Rasierklingen. Wir haben uns daher für eine klare Außenfassade mit eloxierten Aluminiumplatten und riesigen Glasfronten zum Hof hin entschieden. Und innen wurde das umgesetzt, worum es eben ging: eine großzügige Halle mit viel Platz, guten Arbeitsbedingungen, einem neuen Büro und Besprechungsraum.

Inwiefern gliedert sich die Halle in den Bestand hier ein, inwiefern hebt sie sich ab?

Sie tut es sowohl als auch: Einerseits ist sie Teil der Gebäudefamilie, gleichzeitig trägt sie eine ganz eigene Handschrift. Sie ist kein lauter Neuling, keine Diva, sondern ein Bau, der sich mit einer einfachen rechtwinkligen Kubatur und einem Flachdach eingliedert. Über große innere Türen ist das neue Haus mit den angrenzenden Bauten direkt verbunden. Man kann somit trockenen Fußes durch das komplette Gebäudeensemble des Werksgeländes laufen. In der Höhe ragt es jedoch empor und blickt über die anderen Bauten, und aus der sonstigen Gebäudeachse springt es nach innen, so dass der Hof vergrößert wird. Wir betrachten das als kleinen Luxus, den wir uns hier gönnen, weil so natürlich Produktionsfläche verloren geht, dafür aber eine Großzügigkeit im Hof gewonnen wird und die Halle klar als eigenständiges, markantes Gebäude erkennbar ist.

Die Halle gilt weitestgehend als Holzbau. Was genau bedeutet das?

Auf der Gebäuderückseite befindet sich ein drei Meter hoher Fels, den wir freigelegt und anschließend aufwendig weggebrochen haben, dort mussten wir eine tragende Betonwand einsetzen um die darüberliegenden Erdmassen des Hangs abzufangen. Es gibt eine Bodenplatte aus Beton, die gleichzeitig unsere Heizung ist, da man Holz nicht in den Boden legen kann, das würde weg gammeln. Das primäre Tragwerk, die Stützen und Dachträger sind aus massivem Brettsperrholz, die Gebäudedecke ebenso. Wir haben ein Haus ins Haus gebaut, wo der Besprechungs- und Büroraum zu finden ist, auch das ist eine reine Holzrahmenkonstruktion, mit massiver Brettsperrholzdecke. Die inneren Einbauten, die Treppen, die Wandverkleidungen für den Schallschutz sind ebenso aus Holz. In der Umsetzung hat diese Konsequenz einige überrascht. Auch wenn die Renderings und Skizzen den Entwurf natürlich schon gezeigt haben, spürt man die Wirkung so wirklich erst, wenn der Rohbau fertig ist. Wenn man ins Gebäude tritt und das Holz riecht, wenn Sonnenlicht einfällt und von der Masse des warmen Holzes aufgefangen wird, wenn der Schall geschluckt wird. Wenn wir dann merken, unsere Idee geht auf, die Menschen fühlen sich wohl, macht uns das natürlich glücklich.

Ich habe dieses Zitat von Ihnen gefunden: “Wir versuchen als Architekten alles, um einem Haus eine Seele zu geben.” Einer Produktionshalle kann man also mittels Holz eine Seele geben?

Die Mischung macht’s – wie bei einem Koch und seinen Gerichten. Es gibt Hauptzutaten und es gibt Gewürze. Letztere machen aus einem Gericht ein Geschmackserlebnis. Die Hauptzutat ist sicher das Holz. Doch durch die Kombination mit dem Betonboden und der Betonwand, beides ganz glatt und eben, entsteht noch mal eine andere Spannung. Durch die große Verglasung sieht man die Mitarbeitenden von gegenüber oder im Hof, und dadurch gibt es immer eine Interaktion mit dem Arbeitsort und den anderen Arbeitsgruppen, obwohl man im Gebäude ist. Und wenn man beim Kochvergleich bleiben will gibt es auch noch ein Dessert. Ein salbeigrüner Teppich führt von der geschäftigen Werkhalle über eine schmale Kaskadentreppe in den mit dem gleichen Bodenmaterial ausgestatteten Besprechungsraum. Hier wird man von einer unerwarteten Ruhe und Geborgenheit empfangen. Dafür sorgen neben dem textilen Bodenbelag nicht zuletzt die umlaufenden, leichten Leinenvorhängen im gleichen Farbton sowie die rückwärtige Fensterfront die wie ein Bild die davor laufende Hainbuchenhecke in Szene setzt.

Hinweis: Diese Baumaßnahme wird mitfinanziert mit Steuermitteln auf Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.