Profession Ästhetik: Anton Rahlwes (32) hat das Möbellabel „Objekte unserer Tage“ mitgegründet, war in der Chefredaktion des Design­magazins „form“, studiert an der Frankfurter Goethe-Universität Ästhetik im Master und ist Künstler. Auch privat be­fasst er sich viel mit Schönheit und deren gesellschaftlicher Bedeutung.

„Mehr Räume für männliche Schönheit und Selbstfürsorge“

Was verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff Schönheit?

Anton Rahlwes: Schönheit ist etwas, das uns alle betrifft und das gleichzeitig sehr flüchtig und nicht unbedingt greifbar ist. Schönheit ist höchst emotional, bringt aber auch viele Implikationen und Normierungen mit sich. Und Schönheit ist nicht nur visuell.

Sondern?

Sie ist ein Zusammenschluss von Gefühlen und Sinneswahrnehmungen. Für die „form“ haben wir neulich einen blinden Freund von mir nach seinem Schönheitsbegriff gefragt. Da wurde mir selbst klarer, dass die Haptik einer Oberfläche schön sein kann, die Ausstrahlung eines Menschen oder eine Umarmung. Und Schönheit ist natürlich auch immer eine Frage des Zeitgeistes und aktueller Entwicklungen. Momentan prägt etwa Künstliche Intelligenz den Diskurs.

Glauben Sie, Künstliche Intelligenz verändert unser Empfinden von Schönheit?

Was spannend ist: Die Daten, aus der KI „neue“ Bilder macht, sind ja schon da. So werden gesellschaftliche Ideale oder Probleme deutlich. Ich habe letztens den Begriff „Beauty“ in mein Bildbearbeitungsprogramm eingegeben und immer dieselben Vorschläge erhalten: Porträts von weißen, normschönen Frauen mit langen Haaren und Rehaugen, von Diversität war da nichts zu spüren. Da muss man dann aktiv gegensteuern und diese Ideale hinterfragen.

Wie würden Sie Ihren eigenen Stil beschreiben?

Einerseits möchte ich mich wohlfühlen, andererseits versuche ich, Grenzen zu sprengen. Ich mag meine Männlichkeit, gleichzeitig spiele ich mit klassischen femininen Dingen. Manchmal trage ich zum Beispiel Röcke oder Statement-Ohrringe.

Wie wichtig ist der Bart für Sie?

Lustigerweise habe ich mich zur Vorbereitung für dieses Interview zum ersten Mal so richtig mit dem Thema Rasur befasst. Es macht mir Spaß, meinen Bart zu stylen, aber ich habe die Rasur noch nie als Selfcare-Ritual gesehen. Ich glaube, das könnte sich in Zukunft ändern. Interessanterweise ist der Bart ja etwas, was total hochstilisiert wird. 

Inwiefern?

Für viele Männer ist der Bart der Bereich, wo Schönheit und Männlichkeit gut zusammenpassen. Hier in Frankfurt gibt es an jeder Ecke Barbershops. Der Bart wird geformt, vielleicht werden die Augenbrauen gezupft oder eine Gesichtsmaske aufgelegt. Da ist Raum für Selfcare und Männer können untereinander zärtlich sein. Das wird aber oft durch betonte Männlichkeit, viel Leder, Whiskey, Tattoos und so weiter kompensiert. Ich wünsche mir mehr Räume, in denen Männer Schönheit und Selbstfürsorge ausleben können.

Anton Rahlwes mag es mit klassischen Gender-Normen zu brechen: „Es ist spannend, zu sehen, wie man sich selbst und seine Wirkung verändern kann.“

Welche Räume könnten das sein?

Ich denke da gar nicht nur an physische Räume, sondern insgesamt an unsere Gesellschaft. Diese muss neue, komplexere Männlichkeiten zulassen. Bisher gibt es wenige, sehr nischige Orte, an denen Männer zart, schwach und (selbst-)fürsorglich sein können. Sie sollten lernen, dass diese Attribute immer zur Männlichkeit gehören und überall auslebbar sind.

Welche Selfcare-Rituale geben Ihnen Halt? 

Ich liebe Trash-TV! Ich beschäftige mich beruflich mit sehr komplexen Inhalten und kann beim Serienschauen abschalten. In Sachen Kosmetik bin ich ziemlich pragmatisch, für besondere Anlässe mag ich es aber, mich zu schminken. Es ist spannend, zu sehen, wie man sich selbst und seine Wirkung verändern kann.

Haben Sie ein Style-Vorbild?

Ich hole mir viel Inspiration aus Medien aller Art. Es gibt zum Beispiel ein Foto von dem Sänger Frank Ocean, auf dem er ganz leichten Lidschatten trägt. Das ist einerseits dezent, bricht aber auch gleichzeitig mit klassischen Gender-Normen, das finde ich cool.