Im portugiesischen São Lourenço do Barrocal hat José António Uva aus den Ruinen des Bauerndorfes seiner Vorfahren ein Hotel gemacht, das Luxus neu definiert: Schlichtheit, Stille und die Natur.

Von Steinen und Menschen

Bevor man auch nur irgendein Gebäude sieht, wird man von einer freilaufenden, orangefarbenen Rinderherde umzingelt, die sich mit einem Dutzend Kälbern entspannt über die Straße bewegt. Wilder Alentejo: Der Landstrich, in dem uralte Korkeichen und Ölbäume wachsen, ist einer der am dünnsten besiedeltsten in Portugal und war früher die Kornkammer des Landes. Wenn es eins in Barrocal im Überfluss gibt, dann ist es Platz. Und Ruhe, zum Staunen. Nachts funkeln die Sterne heller als anderswo, Lichtverschmutzung gibt es kaum. So ist der Ort zum beliebten Ziel für „Stargazer“ geworden. 

Am Ende der Staubstrasse gibt es keine Tafeln oder Wegweiser wie bei traditionellen Hotels, ganz intuitiv weiß der Besucher aber, dass der Eingang nur durch die „Monte Straße“ erfolgen kann. So heißt die Herzschlagader von São Lourenço do Barrocal: Eine breite Kopfsteinpflasterstraße, links und rechts gesäumt von 24 weißgetünchten, efeuumrankten Cottages. 

Einst Unterkunft der Landarbeiter, seit 2016 schlafen hier die Gäste. Nur die kleinen Nummern über den Türen weisen darauf hin. Davor: kleine, duftende Orangenbäume. Vor der Bar in der Scheune, in der früher die Olivenpressen standen, werden gerade die Stühle für den Sonnenuntergang in Position gebracht.

José António Uva hat einen anderen Lieblingsplatz. Die Treppenstufen der ehemaligen Stierkampfarena sind für ihn der perfekte Platz, um zu erzählen, wie er Hof und Ländereien seiner Vorfahren in ein 5-Sterne-Hotel verwandelt und sich dabei 14 Jahre Zeit gelassen hat. „Man könnte durchaus behaupten, dass ich Barrocal sehr entschleunigt saniert habe“, sagt Uva und lacht. Er zeigt mit ausgestrecktem Zeigefinger über das Land, das sich vor ihm weit bis zum Horizont ausbreitet. Knapp acht Quadratkilometer, seit 200 Jahren und in achter Generation im Besitz seiner Familie.

Relikte aus einer früheren Zeit: Getreidesilos mit spitzen Dächern, die nachts leuchten
Endlich mal ein portugiesisches Wort, das man sich leicht merken kann: Marmelos (Quitten)
Zurück in die Vergangenheit: In der Bar hängen am Ende des Läufers alte Familienfotos

José Uvas Herz schlägt für das Land, aber von einem Bauern ist er weit entfernt. Er trägt Jeanshemd zur hellen Hose, an den Füßen Slipper. In Lissabon hat er die amerikanische Schule besucht, in Paris studiert und in London als Investmentbanker gearbeitet, bevor er sich mit 26 Jahren für ein Sabbatical nach Barrocal zurückzog. Er war damals Single, hat auf dem Gelände im einzigen Haus mit Dach gewohnt, das früher das Gärtnerhaus war und heute das Poolhaus ist. Der Rest des Hofes war damals eine Ruine, komplett verfallen. Uva ist 1974 geboren, dem Jahr, in dem Barrocal nach der Nelkenrevolution verstaatlicht und dann sich selbst überlassen wurde. Erst Mitte der Neunziger, als Portugal der EU beitrat, bekam die Familie den Besitz zurück. Ganz aufgegeben hatte sie ihn nie. Alle Ferien verbrachten sie in einem kleinen Haus in Corval in der Nähe von São Lourenço do Barrocal.

„Meine schönste Erinnerung ist“, erzählt Uva, „wie ich mit meinem Bruder über die Steinfelsen klettere. Das sind die Granitformationen, von denen das Anwesen seinen Namen hat, die Barrocals.“

Hinter einer Rasenfläche, so groß wie drei Fußballfelder, liegt der Pool, dahinter Gemüsegarten, Olivenhaine und Weinberge. Der Eingang ist ein Aquädukt aus dem 19. Jahrhundert. Es gibt einen Pool für Kinder und einen für Erwachsene, an dessen Ende sich dekorativ eine Formation von vier Meter großen Barrocals gruppiert. Es ist offensichtlich, was zuerst da war. Design follows Rocks. 

Der Pritzker-Preisträger Eduardo Souto de Moura hat Bauernhäuser zu Gäste- Cottages umgebaut
Hoch zu Ross lässt sich die Umgebung erkunden. Wer nicht reiten möchte, fährt Mountainbike

 „Für mich gab es zwei Optionen: Barrocal langsam verrotten und sterben zu lassen oder das Anwesen als Ganzes zu überdenken. Es war keine familiäre Pflicht. Mein Anliegen war es, die Region Alentejo mit anderen zu teilen. Die Geschichte und die Natur, aber auch das traditionelle Handwerk“ erklärt José António Uva. Die Umgestaltung ist er, der Akademiker, wie eine Masterarbeit angegangen, hat mit Archäologen, Geologen, Biologen, Architekten, Landschaftsgärtnern, Agronomen und Historikern gesprochen und am Ende seiner Recherche den mit dem Pritzker-Preis ausgezeichneten portugiesischen Architekten Eduardo Souto de Moura engagiert. Das Briefing: Die Grundstruktur sollte nicht verändert werden, das Erbe zeitgemäß geehrt werden. Genau die richtige Aufgabe für einen Mann, der die Einfachheit liebt und die regionale Baukultur Portugals modern interpretiert. 

Beim Wiederaufbau sollten die Original-Materialien verwendet werden. Was sich komplizierter herausstellte als gedacht, besonders die Dächer waren eine Herausforderung. Bestimmte Dachziegel werden heute gar nicht mehr hergestellt, deshalb fuhr ein Handwerker mit einem Lastwagen kreuz und quer durch Alentejo bis an die Algarve und suchte alte Dachziegel zusammen. Die Terrakotta-Bodenfliesen wurden neu gebrannt, insgesamt wurden 350 000 lokal hergestellte Ziegel benutzt. Die Transformation zog sich über Jahre hin, in denen auch immer wieder Zweifel aufkamen: Würde ein Hotel in Alentejo, am Fuße des mittelalterlichen Dorfs Monsaraz, knapp vor der spanischen Grenze und so weit weg vom Meer überhaupt funktionieren? 

Uva entschied, dass das Hotel mit all seinen Angeboten (Heißluftballon fliegen, Vögel beobachten, Ausritte in die Natur, Wein- und Olivenernte) die Attraktion sein müsse und setzte zudem auf moderne Elemente wie die experimentellen Barrocal-Weine der Winzerin Susana Esteban. Er holte sich die österreichische Wellness-Expertin Susanne Kaufmann an Bord, um das klosterähnliche Spa zu schaffen – und versorgt sie seither mit Rosmarin für ihre Öle. Er engagierte den beliebten Alentejaner Koch José Júlio Mendes Vintém, um den weitläufigen, organischen Küchengarten mit Gemüse und 20 verschiedenen Kräutern des Resorts aufzubauen und kreierte mit ihm ein Menü, das teilweise von seinen eigenen kulinarischen Erinnerungen inspiriert ist. Seine Frau Ana Anahory war mit ihrem Designstudio für das Interieur zuständig, die Zimmer sind puristisch, aber komfortabel eingerichtet.  „Soweit es ging, hat sie mit Handwerkern aus der Region gearbeitet. Betten, Keramik, Stoffe, Teppiche – alles aus Portugal! Nur die Fernseher, die sind aus Korea, weil bei uns eben keine guten hergestellt werden“, erklärt Uva.

Der Chef pflückt mit – 2021 fand die die erste Ernte mit Bio-Zertifizierung statt
So sah die Scheune, wo heute Bar und Rezeption sind, vor dem Umbau aus

Die ehemalige Scheune ist in ein farm-to-table Restaurant verwandelt worden, es wird mit Zutaten aus dem eigenen Garten oder aus der Region gekocht, der Fisch kommt aus dem nahegelegenen Alqueva See. Was das Fleisch angeht, kommt nun die Rinderherde wieder ins Spiel. Die einheimischen Alentejanas wurden mit importierten französischen Salers- und Limousin-Bullen gekreuzt, um sie noch schmackhafter zu machen. Sie sind nicht nur Teil der Landschaft, sondern versorgen die zwei Restaurants in Barrocal mit Fleisch. Die Wand schmückt ein Kabinett der Kuriositäten von Joana Astolfi. Die angesagte Künstlerin, die auch die Schaufenster für Hermès in Lissabon gestaltet, hat Familienfunde gekonnt inszeniert, die Uva beim Durchsuchen aller Schubladen, Kleiderschränke und Truhen gefunden hat. In der Mitte hängt ein Hirschkopf, den Uvas Großvater einst erlegte, drum herum gibt es Schleudern, Schuhe, eine alte Teekanne, diverse Schlüssel, eine alte Imkermaske und ein Dutzend weißer Handschuhe, die der Urgroßmutter Uva gehörten, die angeblich nie ohne Handschuhe das Haus verließ. 

Draußen klettern die Kinder von Gästen über die Steine, die Sonne versinkt wie ein roter Ball hinter den Barrocals und vor den Tischen wird ein großes Feuer in einem alten Brunnen angezündet. José muss los, zurück nach Lissabon, einer seiner zwei Söhne feiert Geburtstag. Und dann gibt es da noch Clara. „Unser Lockdown-Baby“, sagt José und lacht. Er ist eben ein Familienmensch, ob er will oder nicht. 

Dieser Beitrag ist zuerst im Herbst 2021 in der gedruckten Ausgabe von 30 Grad erschienen.