Oben ohne
Vor zehn Jahren habe ich aufgehört, ins Fitnessstudio zu gehen. Ob es daran liegt, dass ich einfach keine Zeit habe oder wirklich nur faul bin, habe ich noch nicht herausgefunden, womöglich letzteres. Ich habe nichts gegen Fitnessstudios an sich, nur gegen die Leute, die dort herumlaufen. Abgekämpfte Selbstoptimierer, spiegelbildhungrige Jünglinge, testosterongeladene Dauerpumper. Keiner der Gruppen fühle ich mich zugehörig. Und seit „Domian“ nicht mehr läuft, wüsste ich auch gar nicht, was ich im Fitnessstudio hören sollte. (Es hat etwas Demütiges, auf der Rudermaschine zu sitzen und dabei die Geschichte eines todkranken Mannes zu hören.)
Zugegeben: Sonderlich groß ist der Leidensdruck nicht. Ich bin schlank – zwar nicht schlank genug, um von Hedi Slimane gecastet zu werden, aber für den Alltag völlig ausreichend. Deutlich unpraktischer ist, dass ich bei manchen Trends trotzdem nicht mitgehen kann. In letzter Zeit scheint es nämlich Mode geworden zu sein, Männer für die Entbehrungen im Fitnessstudio belohnen zu wollen. Auf den Laufstegen sieht man V-Necks bis zum Bauchnabel und Crop Tops, die deutlich darüber hinausgehen. Soll ja schließlich jeder sehen, die gestählte Brust. Wofür zahlt man sonst den Mitgliedsbeitrag?
Der heißeste Sommertrend scheinen Zweiteiler ohne Hemden zu sein. Man sieht sie bei Saint Laurent, Tiger of Sweden, Fendi und Versace – selbst Prada lässt bei Männern tief blicken. Nur merken leider viele nicht, dass diese neue Hemdsärmeligkeit eigentlich nur bei makellosen jungen Körpern funktioniert. Erwachsenere Männer – Iggy Pop mal ausgenommen – sehen hemdlos im Anzug bestenfalls wie Schwerenöter oder Halunken aus.
Die meisten Männer haben nämlich weder das Babyface eines Timothée Chalamet oder Shawn Mendes noch die Chuzpe eines Lil Nas X. Vor allem aber müssen sie sich an irgendeinem Dienstagabend nicht auf einem roten Teppich fotografieren lassen. So verlockend dieser Stilbruch also sein mag: bitte angezogen bleiben. Gerade für Frauen (und nicht nur die) ist es schon Zumutung genug, im Sommer allerorten halbnackten, schwitzenden Torsos zu begegnen. Und wenn es eine Sache gibt, die ein richtig gutes Hemd auszeichnet, ist es doch die, dass es nie aus der Mode kommt.
Florian Siebeck schreibt als freier Autor für Vogue, AD und Monocle. Sein Workout beschränkt sich auf tägliches Treppensteigen und Zum-Zug-Rennen.